Im Gespräch mit Ruth Beckermann
König der Könige
Der polnische Autor und Reporter Ryszard Kapuściński lieferte die literarische Inspiration zu Ruth Beckermanns neuem Projekt König der Könige. Kapuściński in den achtziger Jahren weltweit publizierter Bucherfolg ist eine Collage aus Erinnerungen von ehemals im Palast des 1974 gestürzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie beschäftigten Bediensteten und politischen Funktionäre, die eine durchkonstruierte Apparatur der Machtausübung und deren Implosion entblößen. Ruth Beckermann wird in König der Könige Textpassagen aus dieser universell gültigen Parabel der Macht mit dem Alltagsleben eines Hotels im heutigen Addis Abeba verweben.
Ist ein Film einmal fertiggestellt und durch die erste Festivalphase begleitet, wie sieht bei Ihnen dann der Übergang in die Themenfindung für das nächste Projekt aus? Wartet meist schon ein Thema oder begeben Sie sich auf eine Phase des Lesens und Reisens, bis etwas an die Oberfläche kommt?
Ruth Beckermann: Waldheims Walzer war ein Film, der eine sehr lange Begleitphase hatte. Das ist eine Zeit, in der ich gar nicht an ein neues Projekt denken kann, weil ich in einem anderen Modus bin: viele Menschen treffen, Reisen organisieren, über den alten Film sprechen. Bei Waldheims Walzer habe ich das vielleicht etwas zu lange gemacht. Es entsteht irgendwann ein unangenehmes Gefühl der Leere, weil man sich auf eine nicht sehr kreative Weise verausgabt, da sich an Festivals ja viel wiederholt. An einem gewissen Punkt habe ich zwar aufgehört, an Diskussionen zu Waldheims Walzer teilzunehmen, hatte dann aber auch mehrere Retrospektiven, bei denen ich natürlich anwesend war. Erst dann bin ich an den Punkt gelangt, mich zu fragen: „Was mache ich jetzt?“ Zunächst kommen dann einmal ältere Projekte hervor, die mich schon länger beschäftigen. Ich beginne mich wieder mit ihnen auseinanderzusetzen, aus ungeklärten Gründen setzt sich aber letztendlich eine neue Idee durch. Woher? Warum? Ich weiß es nicht. Ich glaube, dass Dinge in der Schublade alt werden und mich dann auch langweilen. In dieser Zeit des Sich-Zurückziehens, Lesens und Mit-Menschen-Redens kommt dann plötzlich etwas daher. In diesem Fall war es das Buch von Ryszard Kapuściński König der Könige, das ich vor zwanzig Jahren gelesen hatte. Für mich stand vorher schon fest, dass ich etwas ganz anderes machen wollte, damit meine ich thematisch und außerhalb Europas. Die Luxusprobleme Europas und auch der europäische Hochmut hatten mich schon geraume Zeit sehr genervt. Das war ein Grund, mich mit Afrika zu beschäftigen. Retrospektiv lassen sich natürlich Verbindungen zu meinem „ewigen“ Thema Erinnerung herstellen.
Worum geht es kurz gefasst in Ryszard Kapuściński König der Könige? Welcher essentielle Aspekt hat den Anstoß geliefert, einen Film daraus zu machen?
Ruth Beckermann: Ryszard Kapuściński war in den achtziger und neunziger Jahren weltweit ein Bestseller-Autor, König der Könige war wahrscheinlich sein erfolgreichstes Buch. In meiner Generation wurde Kapuscinski gelesen. Er war oft in Wien, sein deutschsprachiger Übersetzer Martin Pollack, der auch in Wien lebt, ist ein herausragender Übersetzer. Die besonders gute deutschsprachige Ausgabe ist in Hans Magnus Enzensbergers Reihe Die Andere Bibliothek erschienen, die besonders schön ausgestattet war und die man gekauft und gelesen hat. So kam ich zu Kapuściński, der auch andere tolle Bücher, wie Afrikanisches Fieber geschrieben hat. König der Könige sticht deshalb heraus, weil es eher ein fiktionales Werk ist und weniger eine journalistische Reportage, was ihm auch zum Vorwurf gemacht wurde. Er hat dem entgegengehalten, dass er nie diesen Anspruch gestellt hätte. Das allein ist schon eine Fragestellung, die mich als Dokumentarfilmerin interessiert. Die Fragen Was ist wahr? Was ist Fiktion? Was ist dokumentarisch? poppen ja immer wieder auf. Das faszinierende Thema an König der Könige ist der Aufstieg und Fall eines mächtigen Mannes und seiner Herrschaft.
Wer ist diese zentrale Figur?
Ruth Beckermann: Es geht um Haile Selassie, den Kaiser von Äthiopien, der eine schillernde Figur und über 40 Jahre an der Macht war. Er war einerseits ein exotischer Herrscher, hat aber andererseits Äthiopien in die Moderne geführt. Es war ein Land, wo mittelalterliche Strafen wie das Abhacken von Gliedmaßen noch Usus waren, wo es weder Infrastruktur noch Schulpflicht gab. Er kam bereits 1930 an die Macht und hat vor allem am Beginn seiner Herrschaft Reformen eingeführt. Außerdem war er ein Spieler auf dem internationalen Parkett und zwar schon vor der Phase, als viele afrikanische Staaten in den sechziger Jahren ihre Unabhängigkeit erlangten und auch andere interessante afrikanische Staatsmänner auf den Plan getreten sind. Er hat sehr früh die Wichtigkeit erkannt, in den Medien präsent zu sein und hat viele Staatsbesuche absolviert. Ich kann mich noch erinnern, ihn in meiner Kindheit im Fernsehen gesehen zu haben.
Etwas hat mich an diesem Mann und diesem Land fasziniert. Äthiopien ist ein sehr untypisches afrikanisches Land; einerseits sehr abgeschlossen und abgesehen von den Versuchen der Italiener, sich das Land im Abessinien-Krieg einzuverleiben, war es immer unabhängig. Interessant ist auch, dass sich die äthiopische Kirche und das Kaiserhaus der Legende nach von König Salomon und der Königin von Saaba ableiten. Es gibt die schöne Geschichte, dass die Königin von Saaba von der Weisheit Königs Salomon gehört hatte und zu ihm gereist ist, er wiederum war von ihrer Schönheit fasziniert. Ihr gemeinsamer Sohn Menelik gilt als der erste Kaiser des Landes und Gründer der äthiopischen Kirche, einer orthodoxen Kirche ähnlich der koptischen. Die Hälfte der Bevölkerung ist christlich und sehr fromm, die andere Hälfte ist muslimisch und hat große Probleme, weil sie unter Haile Selassie zweitrangig behandelt wurde. Was über die Figur des Haile Selassie hinaus im Buch sehr gut herauskommt, ist diese Parabel der Macht. Kapuściński schildert in einer theatralen, kammerspielartigen Art und Weise, wie das Leben in diesem Kaiserpalast vor sich ging, mit allen Intrigen, aller Kontrolle und Korruption und wie am Ende dieses System zerbröckelt. König der Könige erzählt Aufstieg und Fall dieses Palastes in Form von Schilderungen von Bediensteten und Ministern, die im Palast gearbeitet haben. Haile Selassie selbst kommt im Buch nicht vor, er ist das Hors-Champs, das eigentliche Zentrum, um das sich alles dreht. Unterschiedliche Personen erzählen das Leben im Palast und die Versuche, gegen dieses Regime vorzugehen bis hin zum Sturz im Jahr 1974, wo dann das Militär die Macht übernahm und viele Jahre des Terrorregimes folgten.
Die Ausgabe des Buchs in Die Andere Bibliothek enthält auch ein Interview, das Hans Magnus Enzensberger mit dem Autor geführt hat, in dem Kapuściński betont, dass es nicht explizit dokumentarisch, sondern auch poetisch und essayistisch ist. Ist damit auch ein Zugang zur Welt angesprochen, der Ihrer Arbeitsweise naheliegt?
Ruth Beckermann: Auf alle Fälle. Ich halte die Diskussion, ob etwas rein dokumentarisch ist, für veraltet. Jeder weiß heute, welchen Unterschied Bildausschnitt oder Kameraposition ausmachen. All das ist subjektiv. Wenn Fernsehanstalten immer noch so tun, als entsprächen ihre Bilder der Wahrheit, dann wissen wir heute auch, wie diese Bilder entstehen. Äthiopien ist dafür das beste Beispiel. 1974 herrschte in Äthiopien eine Hungersnot, deren Bilder weltweit von allen Fernsehsendern gezeigt wurden und daher ein breites Echo ausgelöst haben. Damals hat man erfahren, dass die Journalisten immer zu den gleichen Hungernden hingegangen sind, die immer denselben Satz runtergesagt haben. Was soll daran dokumentarisch sein? An der Diskussion Wahrheit oder Fiktion bin ich nicht interessiert. Ich lese selbst gerne Beschreibungen von Reisenden oder Berichte über die Welt, die nicht so tun, als wäre es die allgemein gültige Wahrheit, sondern der Ausschnitt davon, den sie erlebt und analysiert haben.
Wie oft waren Sie bereits zur Recherche dort?
Ruth Beckermann: Ich war einmal in Addis Abeba und habe mir mögliche Orte angeschaut und viele Menschen getroffen, mit denen ich möglicherweise dort arbeiten kann. Während der Berlinale, die zum Glück gerade noch hat stattfinden können, habe ich eine äthiopische Produzentin gefunden, mit der ich zusammenarbeiten kann, wenn es endlich möglich sein wird zu drehen. Und ich habe den Hauptschauplatz – ein Hotel – gefunden. Mein Projekt wird kein reiner Spielfilm sein und ich werde keine Schauspieler casten. Ich habe die 270 Buchseiten auf eine Textvorlage gekürzt und auch die Rollen reduziert. Dafür werde ich ca. 20 Protagonist*innen brauchen, die aber keine Schauspieler*innen sind, sondern vielmehr Reisende, die in diesem Grand Hotel in Addis Abeba wohnen sowie Einheimische, die dieses Hotel als Café, Bar oder Restaurant frequentieren oder dort schwimmen gehen. Als Hotel ist es auch deshalb interessant, weil nicht nur westliche oder russische Gäste dort absteigen, sondern auch viele afrikanische Gäste. Allein die Idee, einen Dokumentarfilm in einem Hotel zu machen, finde ich schon spannend. In König der Könige wird das Hotel den Hintergrund bilden, aber auch eine Rolle spielen. Vielleicht werden die Bediensteten mitmachen.
Welchen Eindruck konnten Sie im Zuge der Recherchen von der aktuellen äthiopischen Gesellschaft gewinnen?
Ruth Beckermann: Ich habe natürlich nur einen ersten Eindruck bekommen. Allerdings ist Äthiopien ein großes Land mit Gegensätzen, die nur schwer vorstellbar sind. In Addis gibt es eine gar nicht so kleine Mittelschicht und eine Oberschicht. Als ich im Dezember 2019 dort war, war man noch sehr hoffnungsfroh hinsichtlich des jungen Premierministers, der meiner Meinung nach sehr voreilig den Friedensnobelpreis bekommen hat. Die Wahlen wurden nun schon zweimal verschoben und man weiß nicht, ob er an den herrschenden Strukturen etwas ändern kann. Es gibt ein Schulsystem, es gibt Unis, es gibt aber kein Sozialsystem. Wer es sich leisten kann, lässt sich in Kenia behandeln. Ich habe während meiner Reise eine Masterclass an der Kunstuni gehalten und gemerkt, dass die Studierenden es nicht gewohnt waren, zu diskutieren. Es hat sehr lange gedauert, bis jemand zu reden begann. Man merkt, dass es keine Demokratie gegeben hat. Es hat aber auch mit der Höflichkeit der Äthiopier*innen zu tun, die einem eher Recht geben als kontrovers zu diskutieren. Es ist für mich eine Herausforderung, eine Filmproduktion dort auf die Beine zu stellen, weil ich ja die Kultur nicht verstehe, auch nicht bei den Menschen, die in der gleichen Branche arbeiten wie ich. Das reizt mich.
Wie sehr hat Corona nun den Drehplan durchkreuzt?
Ruth Beckermann: Mein Plan war, im Mai und Oktober 2020 zu drehen. Aus jetziger Sicht sieht es so aus, dass Oktober auch noch nicht möglich ist. Im Moment hoffe ich, dass ich dieses Jahr noch drehen kann. Es braucht noch eine Reise zur Vorbereitung. Ich versuche, mich mit Kamera- und Tonleuten sehr genau vorzubereiten, damit ich mich beim Dreh voll darauf konzentrieren kann, wie ich Leute kennenlerne, motiviere, mit ihnen den Text erarbeite. Ich habe eine maximale Drehzeit von fünf Wochen in meinem Budget vorgesehen. Ob ich das in einem Stück realisieren kann oder eine zweite Reise notwendig sein wird, wird sich weisen.
Wie stellten Sie sich die Arbeit mit den Menschen, die die Texte lesen oder sprechen sollen, konkret vor?
Ruth Beckermann: Ich mache keine Proben. Die Proben sind auch schon der Dreh, das war auch bei Die Geträumten so. Das so genannte Casting wird auch gefilmt. Es wird sich vielleicht ergeben, dass französische oder britische oder österreichische Gäste, die sich gerade dort aufhalten, Lust haben, einen Text zu lesen oder auswendig zu sprechen. Vielleicht werden sie auch einen Kommentar abgeben. Wir werden das alles drehen. Ich hoffe sehr, dass die Äthiopier, mit denen wir drehen werden, auch ihre Meinung oder Erinnerung zum Ausdruck bringen. Es wird eine Mischung aus Making of, Textarbeit und Fiction, gedreht in erster Linie an einem Ort, dem Hotel. Dazu wird es den einen oder anderen Außendreh geben. Ich möchte auf alle Fälle Löwen haben. Haile Selassie hat sich „Löwe vom Juda“ genannt, auf Verzierungen, Statuen etc. sind Löwen omnipräsent und man sieht auch echte Löwen. Weiters ist auch der äthiopische Jazz sehr bekannt. Ich hoffe sehr, dass der Besitzer des lässigsten Jazzclubs, den ich schon kennengelernt habe, auch mitmachen wird. Addis ist keine sehr große Stadt, man kommt relativ schnell in eine Szene rein. Ich habe vor, mich dort mit einem kleinen Team ein paar Wochen aufzuhalten und zu schauen, was sich ergibt. Das Spannende an dieser Parabel der Macht ist, dass sie so universell ist. Es geht zwar um Äthiopien und diesen Kaiserpalast, aber ein Grund, weshalb ich mich entschieden habe, in einem Hotel zu drehen, ist der, dass ich so das Universelle noch mehr unterstreichen kann. Ob man an Trump oder Orbán, einen Oligarchen oder einen Konzern denkt. Ich will ja als Europäerin jetzt keinen Äthiopien-Film, das wäre ja lächerlich. Ich möchte einen universellen Film machen.
Interview: Karin Schiefer
Mai 2020