© Imago/Horst Galuschka

 

Sie war eine Frau, die im späteren Alter sagte, was sie dachte und tat, was sie wollte.

 

Für Irma Sztáray war der Eintritt in die Dienste der Kaiserin Elisabeth ein Schritt in die Freiheit und in die Abhängigkeit zugleich. Als ihre Hofdame kam sie in den Genuss von Sisis unstillbarer Reiselust ebenso wie der Unwägbarkeiten ihres launischen Naturells. Frauke Finsterwalder nimmt für ihren Film SISI UND ICH das rastlose Leben der legendären Kaiserin weniger als Vorgabe als vielmehr als Denkanstoß für eine persönliche Gedankenreise durch die letzten Lebensjahre einer Ikone oder schlicht einer hochinteressanten Frau.

 

Der Titel SISI UND ICH stellt eine Ich-Erzähler*in in den Raum. Wer verbirgt sich hinter diesem „Ich“ des Filmtitels?

FRAUKE FINSTERWALDER: Die Erzählerin meines Films ist Irma Sztáray, eine ungarische Gräfin. Irma ist schon mittleren Alters und es ist für sie höchste Zeit, ihr Elternhaus zu verlassen. Als unverheiratete Adelige gab es da im 19. Jh. nicht sehr viele Optionen: Man konnte entweder ins Kloster gehen oder sich am Hofe von Kaiser Franz Joseph bewerben. Zweiteres erscheint der ehrgeizigen Mutter Irmas die bessere Option. Irma wird als Hofdame angenommen und reist Sisi, die sich in den letzten Lebensjahren gar nicht mehr in Wien aufhält, hinterher. Irma ist sehr überrascht, eine völlig andere Kaiserin anzutreffen, als sie es erwartet hatte und auch eine Freiheit vorzufinden, zu der sie nie erzogen worden ist.

 

Die Figur der Sisi ist in Österreich filmhistorisch immer auch durch das Bild, das in Ernst Marischkas Sissi-Trilogie transportiert wird, besetzt.  Was hat Sie an der Kaiserin Elisabeth als Filmfigur interessiert?

FRAUKE FINSTERWALDER: Die alten Marischka-Filme haben ja durchaus ihre Berechtigung als ein Artefakt aus den 50er Jahren, in denen es den Menschen um die Darstellung einer schönen, heilen Welt ging. Als ich begonnen habe, mich mit der echten Elisabeth zu beschäftigen, fand ich ihre Behandlung durch die Historiker*innen unfair, die fast beleidigt zu sein scheinen, dass die wahre Sisi nicht dem süßlichen Bild der von Romy Schneider in den alten Filmen portraitierten Kaiserin entspricht. Es kommt immer eine starke Verurteilung ihrer Person durch, die aus heutiger Sicht betrachtet gar nicht so ungewöhnlich war. Sie war eine Frau, die im späteren Alter sagte, was sie dachte und tat, was sie wollte. Ihr wurde immer angekreidet, dass sie schwierig und auch psychisch krank sei. Unter dem heutigen Aspekt würde man eine starke Frau wie sie gar nicht mehr so verurteilen. Auch habe ich festgestellt, dass Sisi im späteren Alter viel mit mir zu tun hatte. Ich bin auch sehr ruhe- und rastlos, reise gerne. Der Fluchtaspekt hat mich sehr interessiert und darüber hinaus fand ich es interessant, sie aus dem Blickwinkel einer anderen Frau zu beobachten, die diese Art von geistiger Freiheit nicht gewöhnt ist und die im Laufe des Films Sisi komplett verfällt, bis hin zur Selbstaufgabe. Diese Anziehungskraft, die von jemandem wie Sisi ausgegangen ist, interessierte mich sehr.

 

Basiert Ihr Drehbuch in erster Linie auf Irmas Memoiren oder haben Sie eine weitreichende Recherche zu diesen letzten Lebensjahren der Kaiserin angestellt?

FRAUKE FINSTERWALDER: Das Historische ist bei einer so ikonischen Figur wie „Sisi“ zunächst unglaublich dominant und man meint als Filmemacherin der Geschichte gerecht werden zu müssen. Ich habe natürlich fast alles über Sisi gelesen und habe dann versucht, mich Schritt für Schritt von dem Ballast des Realen zu befreien. Und irgendwann habe ich die historischen Quellen über Bord geworfen und dann aus mir selber geschöpft. Ich habe versucht, mir den Gefühlsraum vorzustellen, in dem sie sich bewegt hat. Historiker*innen werden mir den Film wahrscheinlich um die Ohren hauen. Ich halte mich nur grob an die historischen Fakten: es ist bei diesem Film ein halbnaher Blick durch die Augen Irmas, aber auch ein ironisch-distanzierter Blick.  Sisi`s Geschichte ist ja eine traurige und dramatische und ich glaube, dass man diese Traurigkeit nur mit einem humoristischen Blick darstellen kann. Vom Tonfall ist mein Film insofern ein ganz anderer als die Betrachtungen von Sisi, die normalerweise eher ernsthaft und schwermütig angestellt werden.

 

Mit dem Fitnesswahn, strengen Diäten und letztlich der Essstörung kommen sehr moderne Aspekte hinein.

FRAUKE FINSTERWALDER: Ich kenne die Thematik der Essstörung aus meiner eigenen Vergangenheit, aber auch aus den Ländern, wo ich gelebt habe. Zuletzt war das zum Beispiel Kalifornien, wo es einen sehr starken Körper- und Schönheitskult gibt. Das Klischee der dicken Amerikaner*innen ist dort nicht existent. Man sieht nur perfekte Körper und perfekte Menschen, die sich schon im jungen Alter operieren lassen. Essstörungen kommen bei Menschen vor, die in ihrem Leben einen gewissen Kontrollverlust erlebt haben. Zum Beispiel durch ein sehr dominantes Elternhaus. Der extreme Versuch der Kontrolle des Gewichts und des Aussehens ist ein Versuch, Kontrolle über die Welt zurückzugewinnen. Bei Sisi könnte der Kosmos des Wiener Hofes, in dem sie sich ja aufhalten musste und dessen Zwängen sie permanent ausgesetzt war, ein Auslöser für ihre Essstörungen gewesen sein. Die Angst des Kontrollverlusts fand ich jedenfalls ein interessantes Thema. Elisabeth, die in meinem Film mit den Menschen in ihrem Umfeld permanent Spielchen spielt, um sie in Schach und auf Distanz zu halten.

 

Die Geschichte spricht auch andere Lebensmodelle von weiblicher Unabhängigkeit an – Irma, die unverheiratet bleibt, Sisi, die sich ihrer Ehe entzieht.

FRAUKE FINSTERWALDER: In der Zeit und in der Gesellschaftsschicht, aus der Elisabeth und Irma stammen, war das nicht so ungewöhnlich. Das strenge Protokoll am Wiener Hof setzte schon enge Grenzen, dennoch durfte man sich relativ frei bewegen, zum Beispiel Liebhaber haben. Das hat mich interessiert, weil man mit dieser Epoche gerne nur die eigeschnürten Frauen in Verbindung bringt.

 

Es klingt dennoch nach einem Widerspruch. Sisi entflieht dem Hof, unterwirft ihren Körper dann wieder sehr strengen Regeln.

FRAUKE FINSTERWALDER: Bei meiner Sisi gibt es eine bestimmte Unstetigkeit oder Launenhaftigkeit. Eine Widersprüchlichkeit, die ich interessant finde. Ich verurteile sie nicht dafür. Mich interessieren beim Erzählen nicht Schwarz oder Weiß, sondern die Zwischentöne. Für die Menschen um Sisi herum ist dieses Verhalten sehr anstrengend. Es sorgt aber auch für permanente Bewegung aller. Es gibt nichts, worauf man sich bei ihr verlassen kann. Ich habe mich deshalb auch für Sisis Reisen, die Bewegung im Raum, ihren Drang, sich ständig zu bewegen durch Sport, interessiert. Der Film ist ja noch nicht gedreht, ich plane aber eine sehr dynamische Inszenierung. Es wird nicht das sein, was man von einem historischen Film erwartet, in dem die Menschen sitzen und reden.

 

Der freie und unbeschwerte Umgang mit historischen Fakten stellt auch eine Assoziation zu einer anderen Ikone in Österreichs imperialer Geschichte her – ich denke an Sophia Coppolas Sicht auf Marie Antoinette. Welche Bildsprache schwebt Ihnen vor?

FRAUKE FINSTERWALDER: Sobald man als Frau einen historischen Film macht, kommt der Vergleich mit Sophia Coppola. Ich liebe ihre Marie Antoinette. Aber ich sehe mich nicht ganz in dieser fröhlichen, artifiziellen Schiene. Ich versuche immer wieder in meinen Filmen, sehr düstere Themen mit einer extrem hellen, freundlichen Bildsprache zu erzählen, weil ich diesen Kontrast spannend finde.  Man wird ja zur Zeit mit historischen Stoffen bombardiert, ich erlebe eine absolute Übersättigung, was den Look der Streamer betrifft. Das, was man daran vor ein paar Jahren interessant fand, weil es aussah wie Kino, ist jetzt Massenware. Mir ist Vieles zu dunkel und zu schwer und in dem Sinne auch männlich. Oder es ist gezielt trashig und soap opera-mäßig wie bei Bridgerton. Man muss sich, wenn man einen Kinofilm macht, vom Fernsehen abheben. Es gibt natürlich im Kino auch Extreme wie den fantastischen Film The Favourite, der mit seinen weitwinkeligen Bildern sehr auf Comedy gemacht ist, was ganz toll und befreiend war, was aber nun auch abgehakt ist. Ich orientiere mich oft an älteren Dingen, wenn es um historische Stoffe geht. Europäisches Arthouse der 60er und 70er Jahre. Ich habe Viscontis Gewalt und Leidenschaft, einen meiner Lieblingsfilme, sehr oft gesehen. Ich finde, der Film hat sehr lustige Dialoge und hat auch eine tolle Frauenfigur.

 

Wie sehen Sie für Ihren Film den Typus der Elisabeth? Wie soll sie aussehen? Wer wird sie spielen?

FRAUKE FINSTERWALDER: Für mich ist Sisi eine sehr starke Person, die trotz ihres Alters unerwartet kindliche Züge hat. Das wird die Darstellerin vor die große Aufgabe stellen, einerseits große Strenge und Machtbewusstsein, und gleichzeitig eine große Verspieltheit zu zeigen. Es steht bereits fest, wer Sisi spielen wird: das ist Susanne Wolf. Sie ist eine beeindruckende Schauspielerin, eine Frau, die in den Raum kommt und es wird still. Das braucht es auch an der Seite von Sandra Hüller, die die Hofdame Irma spielt. Sandra Hüller ist eine phantastische Schauspielerin, die vor allem auch das unfreiwillig Komische sehr gut kann. Ich freue mich wahnsinnig auf die Zusammenarbeit mit den beiden und bin schon sehr neugierig, was zwischen ihnen entstehen wird. Für Susanne Wolf als Sisi wird es auch mal eine ganz andere Aufgabe sein; ich finde sie wird sehr oft burschikos besetzt, obwohl sie das gar nicht ist, im Gegenteil. Mit Sisi hat sie eine Rolle die sehr weiblich ist und sich gleichzeitig nicht wie eine Frau verhält und es wird spannend sein, was in diesem Spannungsverhältnis entsteht.

 

Beleuchtet der Film in der Beziehung zwischen Sisi und Irma auch das Thema einer tiefen Freundschaft?

FRAUKE FINSTERWALDER: Ich würde es, was Irma betrifft, als ein Verwirrspiel mit der Freundschaft betrachten. Die Beziehung zwischen den beiden richtet sich danach, wie sich Sisi gerade fühlt: Irma ist je nachdem entweder Freundin oder irgendeine Angestellte in ihrem Kosmos. Während des Schreibens habe ich mich mit dem Begriff des Groomings beschäftigt. In meinem Film geht es um eine andere Facette dieses Begriffs; was Sisi betreibt, ist eine Form von Grooming – durch ein permanentes Spiel von Abstoßen und Nähe-Herstellen macht sie sich Irma gefügig. Irma ist ja auch nicht blöd, sie verfällt aber durch dieses Machtspiel dieser Frau, die der größte Star ihrer Zeit ist. Dieses Suggerieren von Nähe und Freundschaft, verbunden mit einem immer stärkeren Eindringen in die Person Irma, ist eine Form der Machtausübung.

 

Mit der letzten Geste am Ende des Films setzen sie ein klares Statement für die Fiktionalität. Das Ende entspricht ja nicht der Geschichtsschreibung.

FRAUKE FINSTERWALDER: Nach all dem, was ich gelesen habe, kann ich mir gut vorstellen, dass alles gar nicht so passiert ist, wie es offiziell in den Geschichtsbüchern festgehalten ist. Es gibt viele Aspekte der Sisi-Geschichte, an denen entlang ein Mythos gestrickt wurde. Gerade aus ihren letzten Jahren ist fast nichts aus verlässlichen Quellen bekannt. Für mich hat sich besonders beim Betrachten der Fotos und Gemälde, die man von Sisi kennt, herauskristallisiert, dass es für den Look, für den sie steht, keinen Beweis gibt. Auf jedem Bild sieht sie komplett anders aus. Vor wenigen Tagen habe ich ihre Totenmaske im Original aus nächster Nähe gesehen und sie sieht gar nicht so aus wie auf den Fotografien. Ist sie das also wirklich auf den Bildern? Es ist ja auch ganz interessant, dass, bei allem was man über Sisi weiß, davon ausgegangen werden kann, dass Informationen vom Hof gestreut wurden, wie es bei einem Star mit einer PR-Abteilung halt so ist. Das hat mich in meinem Denken sehr frei gemacht, mir einfach zu sagen, dass man sich auf historische Informationen nicht verlassen kann und für mich deshalb auch keine Pflicht besteht, vermeintliche Realität zu erfüllen oder nachzuahmen. Ich darf mir als Künstlerin meine Sisi aussuchen, wie ich sie gerne hätte. Und somit auch die Umstände ihres Todes.

 

Interview: Karin Schiefer

Mai 2021