"Kein Weg führt an ihr vorbei."

Ohne Johanna Dohnal wäre das Frauenvolksbegehren 2018 ebenso wenig denkbar wie die ersten Schritte in der österreichischen Frauenpolitik der siebziger und achtziger Jahre. Der neue Dokumentarfilm von Sabine Derflinger soll diese unermüdliche Kämpferin und Wegbereiterin heutiger Selbstverständlichkeiten kraftvoll wieder ins kollektive Bewusstsein rücken. In Die Dohnal entsteht gerade das Portrait der Gallionsfigur einer österreichischen Gesellschaftspolitik, die erstmals die Anliegen der Frauen ernst zu nehmen begann.  

Johanna Dohnal war in den siebziger und achtziger Jahren als politische Figur sehr präsent. Dreißig Jahre später scheint sie aus dem kollektiven Bewusstsein irgendwie verschwunden zu sein. Wie ist sie in Ihre eigene Erinnerung zurückgekehrt und zum Filmthema geworden?

SABINE DERFLINGER: Genau das war der Grund, weshalb das Johanna-Dohnal-Institut mit der Filmidee an mich herangetreten ist – um sie wieder ins kollektive Bewusstsein zurückzuholen. Da es ein politisches Thema war, wollte ich nicht an eine TV-Sendezeit gebunden sein und schlug vor, es als Kinofilm zu entwickeln und einzureichen. Nach einer ersten Recherche am Institut habe ich ein Konzept für die Projektentwicklung geschrieben und begonnen, die Frauen aus ihrem Umfeld zu treffen. Ein einziges Mal habe ich Johanna Dohnal persönlich kennen gelernt, als sie zu einer Vorführung von meinem ersten Spielfilm Vollgas gekommen ist. Ich war damals außer mir, weil sie eine große Heldin für mich gewesen war und konnte nicht glauben, dass sie mit mir sprechen wollte. Ich komme vom Land, wo es kein sehr ausgeprägtes politisches Bewusstsein für Frauenpolitik gab und politische Bildung nur übers Fernsehen stattgefunden hat, dennoch war sie von ihren politischen Anfängen an eine Figur, die man verehrt oder gehasst hat. Kein Weg hat an ihr vorbeigeführt.

Was führt dazu, Johanna Dohnal gerade jetzt wieder ins Zentrum einer allgemeinen Wahrnehmung zu rücken? Worin liegen Ihrer Meinung nach die Gründe, weshalb sie in Vergessenheit geraten ist?

SABINE DERFLINGER: Da gibt es sehr konkrete Vermutungen, die ich nun nicht alle offenbaren möchte, da sie Teil meines Films sind. Die Tatsache, dass es heute Frauen gibt, die behaupten, es brauche weder Quote noch einen Kampf um gleiche Löhne, hat damit zu tun, dass es kein Bewusstsein für die Geschichte gibt. Junge Frauen unter dreißig wissen heute nicht mehr, wer Johanna Dohnal war. Frauenbewegungen gab es immer wieder, auch unabhängig von den jeweiligen Regierungen. Johanna Dohnal hat es vom Arbeiterkind und mit wenig Bildung geschafft, in ein hohes Regierungsamt zu gelangen, gleichzeitig war sie immer bereit, mit den Frauenbewegungen aller Couleurs zusammenzuarbeiten und solidarisch zu sein. Sie ging in die Fabriken, sie setzte sich ins Wirtshaus. Obwohl sie an oberster Stelle in der Politik war, war sie mit der Basis stark verbunden und hatte gleichzeitig eine internationale Vision, ist viel gereist und hat sich weltweit mit Frauen vernetzt. Sie hat viele Themen, die heute akut sind, bereits klar formuliert und Frauenpolitik immer als Gesellschaftspolitik betrachtet. Durch das Erstarken der FPÖ unter Jörg Haider ist die SPÖ unter Druck geraten und begann, Konzessionen zu machen. Johanna Dohnal war unbequem und wurde daraufhin „entsorgt“.

Johanna Dohnal ist eine Figur, der man dokumentarisch gerecht werden muss. Gleichzeitig hat sie durch ihren märchenhaften Aufstieg und bitteren Fall etwas von einer fiktionalen Heldin. Haben Sie in filmischer Hinsicht zwischen einer fiktionalen und einer dokumentarischen Lösung gezögert? Suchen Sie nach Zugängen, die beiden Ansätzen gerecht wird?

SABINE DERFLINGER: Der Film wird dokumentarisch sein, in dem Sinne, dass ich Dokumente wie Fotos, Filmausschnitte, Reden, Notizen, Tagebücher zur Verfügung habe. Dazu kommen Gespräche mit den Weggefährt*innen dieser Zeit. Für mich ist sie eine glamouröse Heldin, die es geschafft hat, die aber wie alle Vorreiterinnen scheitert, weil ihr von allen Seiten Prügel in den Weg gelegt werden. Sie ist eine archaische Figur, die in ihrem Kampf viel erreicht hat, die aber persönlich eine große Niederlage erfahren muss. Man hat sie abmontiert. Dies liefert meinem Film so etwas wie den dramaturgischen Strang, der sich durch den gesamten Film ziehen wird.

Werden Sie über das Archivmaterial hinaus auch aktuelles Material drehen?

SABINE DERFLINGER: Wir werden mit Frauen drehen, die sich an Johanna Dohnal erinnern, darunter auch Frauen, die damals ihre Kontrahentinnen waren und heute auf ihrer Seite stehen. Da jetzt gerade das Frauen-Volksbegehren eine Neuauflage erfährt, geht es auch um die jungen Frauen und auch darum, zum Frauen-Volksbegehren 1997 einen Bogen zu spannen. Sonja Ablinger ist z.B. eine Persönlichkeit, die schon im ersten Volksbegehren involviert war. Die aktuelle Frauenministerin und weitere offizielle Politikerinnen distanzieren sich leider von diesem Volksbegehren mit dem Argument, dass es zu weit gehe, obwohl es sich nur um einen Forderungskatalog und nicht um einen Gesetzesentwurf handelt. Es geht um Partei- und Machtpolitik. Wie schade, dass es die Frauen nicht schaffen, sich über Parteigrenzen hinweg zu solidarisieren und für ihre Sache einzustehen. Johanna hat auch die ÖVP-Frauen getroffen, die klar stellten, dass sie nicht offiziell für die Abtreibung eintreten konnten, es aber unterstützten, wissend, für wie viele Frauen Abtreibungen damals tödlich ausgingen.

Gibt es Wunschkandidat*innen für Gespräche? Wird es auch Gespräche mit Männern geben?

SABINE DERFLINGER: Wer im Film zu sehen sein wird, wird die Montage erweisen. Ich werde mit Ferdinand Lacina, Franz Vranitzky, Christian Kern, Eva Kreisky sprechen. Der Fokus liegt auf Johanna Dohnals Familie – ihre Tochter, ihre Enkeltochter, die so wichtig war für sie, ihre Lebenspartnerin Annemarie Aufreiter, ihre Freundinnen, mit denen es ein Abendessen geben wird, wo wir filmen wollen. Johanna Dohnal hat ja auch gerne gekocht und gefeiert. Zur Zeit ist meine Prämisse, mit möglichst vielen Menschen zu sprechen. Das ist eine sehr spannende Phase.

Das kreative Kernteam bilden Sie mit Christine A. Maier (Kamera) und Niki Mossböck (Montage). Vor welchen großen Herausforderungen stehen die beiden? Wie sehen Ihre Vorstellungen aus, wie die Gesprächspartner*innen gefilmt werden sollen?

SABINE DERFLINGER: Man steht beim Dokumentarfilm fürs Kino immer vor der Frage, was macht ihn formal zu einem Kinofilm. Talking Heads gelten da immer ganz besonders als No-Go. Ich halte das für ein Relikt aus den achtziger Jahren, jeder Schuss-Gegenschuss-Dialog im Spielfilm ist nichts anders als Talking Heads. Ich stelle mir die Frage, “Spricht jemand oder erzählt jemand?” Wenn jemand erzählt, schaut man dieser Person ins Gesicht, erlebt ihre Emotionen und Beschreibungen aus der Zeit, in die man wieder eintauchen kann. Über das Archivmaterial erlebt man sie als die Frauen, die sie früher waren. Ich wünsche mir Gesprächssituationen, die eine gute Stimmung vermitteln, in der man den Menschen gerne zuschaut und zuhört. Wir werden die Menschen in ihrer eigenen Umgebung filmen, um sie durch dieses Ambiente auch zu charakterisieren. Das hat etwas Altmodisches; in den Dokumentarfilmen der achtziger Jahre, mit denen ich sozialisiert wurde, hat man das so gemacht. Ich bin ein großer Fan von Marcel Ophüls oder Eberhard Fechner. Ich möchte mit dem Film über Johanna Dohnal eine ganze Zeit wieder auferstehen lassen. Ich sehe daher wenig Bedarf, etwas zu inszenieren. Es wird die Menschen und ihre Geschichten geben und man kann sich die Zeit nehmen, ihnen zuzuhören und zwischen dem Damals und dem Jetzt auch über Kontinente hinweg Bezüge und Verknüpfungen herstellen. Man soll ein Gespür dafür entwickeln können, was sich verändert hat. Wer hat heute im Bewusstsein, dass in Luxemburg das Frauenwahlrecht 1974 eingeführt worden ist?

Dem Konzept ist zu entnehmen, dass Sie auch einen eigenen Off-Kommentar planen. Warum ist es Ihnen wichtig, auch auf der Tonebene eine weitere subjektive Schicht einzuziehen?

SABINE DERFLINGER: Der Film ist ein Gedenken an Johanna Dohnal. Selbstverständlich ist der gesamte Film subjektiv. Sie hat unheimlich viel in Wort und Sprache hinterlassen, das ich einfließen lassen möchte. Mir ist es wichtig, in der Form frei zu sein, um einer Persönlichkeit gerecht zu werden. Ein persönlicher Off-Kommentar statuiert, dass man als Filmemacherin auch Autorin dieses Portraits ist und es gibt in der Montage einen großen Freiraum. Das hat auch etwas mit erzählerischer Effizienz zu tun.

Woher rührt der Titel Wir wollen die Hälfte vom Kuchen? (Wurde später geändert in Die Dohnal; Anm. der Redaktion)

SABINE DERFLINGER: Diesen Satz hat Johanna Dohnal einmal gesagt. Es ist ein Arbeitstitel, der aus feministischer Sicht auch streitbar ist, da es voraussetzt, dass die eine Hälfte den gesamten Kuchen besitzt und die andere Hälfte als Bittstellerin erscheint. Für mich hat aber nicht unbedingt ein feministisch unantastbarer Titel Priorität, sondern einer, der beschreibt, worin zu Johanna Dohnals Zeit der Kampf bestand. Der Titel muss nicht unbedingt aus einem heutigen Bewusstsein entstehen.

Wird der Film auch einen Bezug zum feministischen Aktivismus der Gegenwart herstellen?

SABINE DERFLINGER: Ja, es wird einerseits das Frauenvolksbegehren, das jetzt im Februar 2018 lanciert wurde, ein Thema sein, darüber hinaus auch die Burschenschaft Hysteria und Frauen, die sich in diesem Zusammenhang exponieren. Vieles kann sich erst im Montageprozess konkretisieren, wenn klar geworden ist, welche Materialien untereinander, welche Tonebene mit welchem Bildmaterial etwas zu erzeugen vermag. Das wird sehr viel Arbeit sein. Meine Grundlage vor Drehbeginn bilden mein Konzept, die Meilensteine der Frauenpolitik, das Archivmaterial, von dem schon sehr viel gefiltert ist. Da sind auch Gustostückerl dabei, auf die man nicht wird verzichten können. Ich denke an einen Ausschnitt aus der Diskussionssendung Club 2, wo Axel Corti Johanna Dohnal erklärt, wie die Bauarbeiterinnen am Bau von den Bauarbeitern unterstützt werden. Wesentliche Elemente versuche ich vor dem Schnitt festzulegen. Interessant ist, dass ich vor über zwei Jahren eingeladen wurde, das Thema Johanna Dohnal aufzugreifen. Da war weder von Donald Trump, noch #MeToo, noch von einem Frauenvolksbegehren die Rede. Ich wurde vielmehr mit Befürchtungen konfrontiert, dass Johanna Dohnal niemanden interessieren würde. Das hat sich jetzt eindeutig geändert.

Interview: Karin Schiefer
Februar 2018