© Elisabeth Scharang, Jörg Widmer

 

 

Ich habe meinen Blick auf die Welt hinterfragt und teilweise neu aufgesetzt

 

Es gab mehrere Brüche in Marians Leben. Den ersten, als sie mit sechszehn ihre Mutter verlor und daraufhin ihr vertrautes Umfeld und auch ihre Freunde zurückließ. Jahre später bringt sie ein traumatisches Erlebnis erneut so weit, alles, was ihr bis dahin wichtig war, aufs Spiel zu setzen. Im Mittelpunkt von Elisabeth Scharangs neuem Film WALD steht eine Frau um die vierzig, die sich der Einsamkeit und Kälte eines unwirtlichen Ortes aussetzt, um mit ihrer Vergangenheit wieder in Verbindung zu treten. 

 

Inspiriert ist WALD von Doris Knechts gleichnamigem Roman, in dem eine Frau Mitte 40 durch ein unvorhergesehenes Ereignis die Gewissheiten in ihrem Leben verliert. Gleichzeitig habe ich den Eindruck – ich erinnere mich an Ihren Text, den Sie kurz nach dem Attentat in Wien am 2. November 2020 im Falter publiziert haben –, dass diese Ereignisse im Drehbuch sehr stark von persönlichen Erfahrungen geprägt sind.

ELISABETH SCHARANG: Im Roman von Doris Knecht ist die Finanzkrise die Ursache, dass das Leben der Protagonistin aus den Fugen gerät. Auch in meinem Drehbuch war dies ursprünglich der Auslöser – ich arbeite ja schon seit fünf Jahren an diesem Stoff. Doch die Finanzkrise und ihre Auswirkungen sind schnell historisch geworden. Die Themen, die die Welt beschäftigen, hatten sich verändert und es ging um das Überleben des Planeten und nicht mehr nur um Finanzpoker und eine riesige Immobilienblase.

2020 haben wir erstmals für die Herstellungsförderung eingereicht, das Drehbuch wurde zunächst abgelehnt, allerdings mit dem Hinweis, dass in der Geschichte zwischen den zwei Frauen, die ich erzähle, großes Potenzial stecke. Ich habe den Stoff zunächst ein paar Monate liegen lassen, ich war mir nicht sicher, was genau in der Geschichte nicht funktionierte. Und dann war der 2. November 2020 und der Terroranschlag in Wien. Ich war an diesem Abend in der Wiener Innenstadt und sehr nahe dem Tatort. Wie viele andere auch an diesem warmen Abend, dem letzten vor dem angekündigten Lockdown, war ich mit meinem Mann zu der Tatzeit am Weg Richtung Schwedenplatz. Das erste Bild, das sich mir eingeprägt hat – es ist auch das erste Bild im Drehbuch – waren drei junge Frauen, die auf uns zu liefen. Ich dachte, sie seien auf dem Weg zu einer Party oder einem Essen mit Freund*innen. Sie hatten sich dafür schön angezogen. In meiner Wahrnehmung war es so ruhig, fast friedlich. Keine Stimmen, keine Schreie, kein Ton. Hinter den drei Frauen tauchten fünf Männer des Anti-Terrorkommandos auf mit den Maschinengewehren im Anschlag. Dann erst war klar, irgendetwas stimmte nicht. Wir sind gelaufen, in ein Lokal hinein, um uns zu verstecken. Die Lage war völlig unübersichtlich, niemand wusste etwas. Wir haben vier Stunden in einem Keller gewartet, in den man nur über einen Aufzug vom Lokal aus gelangt ist. Es hat sich angefühlt, wie in der Falle zu sitzen. Ich bin nach zwei Stunden hinaufgefahren, um mit meiner Schwester, die zu Hause vor dem Fernseher saß, über SMS Kontakt aufzunehmen. Von ihr erfuhr ich erst, was draußen los war. Nach Mitternacht konnten wir zu Fuß nach Hause gehen. Die Polizei sagte zu uns: „Sie können auf eigene Gefahr nach Hause gehen.“

Ich wusste, es ist etwas Unfassbares passiert, aber mir persönlich war nichts geschehen; ich war nicht verletzt. Erst am nächsten Tag, beim Versuch, darüber zu sprechen, musste ich mir selber dabei zuschauen, dass ich nicht mehr aufhören konnte, zu weinen. Ich hatte keine Kontrolle mehr über mich. Erst dann war klar: mir ist etwas passiert.

Ich habe dann das gemacht, was ich immer mache, wenn ich etwas verarbeiten muss: ich habe geschrieben. Der Text wurde im Falter veröffentlicht, und in der folgenden Woche habe ich immer wieder Leute getroffen, denen es ähnlich wie mir ergangen ist. Alle waren im Lockdown gewissermaßen allein in den eigenen vier Wänden mit dem, was geschehen ist. Es gab kaum einen Austausch und auch keine Aufarbeitung. In den Wochen nach dem Anschlag hat sich meine Filmgeschichte in meinem Kopf mehr und mehr mit meinen persönlichen Erlebnissen verwoben:  einerseits die Geschichte der Frau, die den Boden unter den Füßen verliert und in den Wald geht und andererseits die Geschichte, die ich in und nach der Terrornacht erlebt hatte. Innerhalb eines Monats schrieb ich die neue Drehbuchfassung und wir haben wieder eingereicht. Diesmal gab es ein klares Signal, dass die Geschichte angekommen war.

 

War es so, dass Sie sich in der Zeit danach auch gezielt mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen in dieser Nacht gemacht hatten, ausgetauscht haben, um das auch ins Buch einfließen zu lassen?

ELISABETH SCHARANG: Nein, eigentlich nicht. Es waren eher Begegnungen, wo ich mit jemandem wegen etwas ganz anderem zu tun hatte und ich im Laufe des Gesprächs draufkam, dass wir ein traumatisches Erlebnis teilen; auch wenn man einander nicht gut kennt, tritt man dann unheimlich schnell in einen Austausch von sehr persönlichen Erfahrungen. In der Öffentlichkeit war in den Wochen nach dem Anschlag viel die Rede von den Ursachen und dem Hintergrund des Täters und möglicher Hintermänner. Was einige tausend Menschen in dieser Nacht in der Wiener Innenstadt miterlebt haben, darüber gab es wenig öffentlichen Diskurs. Man hat sich eher im Privaten ausgetauscht; die Menschen hatten ein unglaubliches Bedürfnis, das Erlebte für sich einzuordnen.

 

Auch beim Lesen des Drehbuchs entsteht der Eindruck, dass sie unsichtbaren Kräften, die wirksam werden eine Geschichte geben. Marian, die Protagonistin, erweckt den Eindruck, dass sie plötzlich all das aufs Spiel setzt, was ihr bisher im Leben wichtig war.

ELISABETH SCHARANG: Marians Handeln ist optionslos. Ich glaube, das Schlimmste, was einem passieren kann, ist, dass der Ort, an dem man sich sicher fühlt – das Zuhause, die Stadt, in der man lebt – aufhört, ein „safe space“ zu sein. Das zu verkraften, ist sehr schwierig. Das Interessante an Marians Weggehen aus der Stadt ist, dass sie sich an einen Ort zurückzieht, der kein fürsorglicher Ort zu sein scheint. Dieses Haus am Land ist zwar mit viel Liebe gefüllt, weil Marian liebevolle Erinnerungen damit verbindet, aber es gibt keinen Strom und es ist schon länger unbewohnt nach dem Tod der Großeltern. Der Wald, der in Erzählungen oft als unheimlicher Ort beschrieben wird, ist in meiner Erzählung für Marian eine Art Schutz. Sie kann darin verschwinden, ein kleiner Teil eines großen Ganzen werden und nach und nach wieder Wurzeln schlagen. Der Wald ist auch der Ort, wo ihre Vergangenheit einen Weg zu ihr findet. Meine Protagonistin verlässt also ihr zu Hause, um sich in Sicherheit zu bringen, und begegnet dabei ihrer größten Angst. Es schließt sich damit ein Kreis.

 

WALD ist Ihr erster Spielfilm mit einer zentralen Frauenfigur.

ELISABETH SCHARANG: Nicht ganz. Für meinen Fernsehfilm Herzjagen hatte ich Martina Gedeck in den Mittelpunkt meiner Geschichte gestellt und Ursula Strauss war eine starke Frau in meinem historischen Film Vielleicht in einem anderen Leben. In WALD gibt es allerdings zwei zentrale Frauenfiguren. Der einen bin ich in Doris Knechts Roman WALD begegnet und die andere ist meiner Fantasie entsprungen und hat mir von Beginn an beim Schreiben den Weg durch die Geschichte gewiesen. Zunächst war mein Drehbuch eine Geschichte über Marian und Franz, bald war aber klar, dass die zwei Frauen, ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe und ihre frühere Freundschaft in den Mittelpunkt rücken. Die männliche Hauptrolle hat nach und nach eine völlig andere Ausrichtung bekommen. Ich denke, dass alle Rollen etwas von meiner intensiven Auseinandersetzung in den letzten zwei Jahren mit der filmpolitischen Debatte über eine Geschlechterquote abbekommen haben.

Ich habe mein ganzes System, meinen Blick auf die Welt hinterfragt und teilweise neu aufgesetzt. Das bezieht sich nicht nur auf das Team, mit dem ich arbeite, sondern auch auf die Bewusstwerdung, wie sehr ich, gerade was Film betrifft, in einem männlich dominierten System sozialisiert wurde. Wir schreiben und inszenieren ständig Klischees, die weniger ein Abbild der Welt sind, in der wir leben, als eine Wiederholung von Stereotypen, die sich eingeprägt haben; und die by the way Filme und Drehbücher nicht spannender machen. Ich sehe die Auseinandersetzung mit Rollenbildern nicht als politisches Dogma sondern als künstlerische Bereicherung.

 

Wie kann man die beiden Frauenfiguren kurz charakterisieren?

ELISABETH SCHARANG: Marian und Gerti waren in Kinder- und Jugendjahren beste Freundinnen. Als Marian mit 16 nach einem schweren Schicksalsschlag von heute auf morgen weggeht, fühlt es sich für Gerti an, als habe man ihr einen Arm abgetrennt. Während Marian diesen Lebensabschnitt hinter sich lässt, ohne sich je wieder zu melden, hat Gerti das bis heute nicht verziehen.

Über die Wiederbegegnung der beiden Frauen mit Mitte 40, stellen sich die Fragen, die immer auftauchen, wenn es einen Flashback in die eigene Vergangenheit gibt: Wo und wofür stehst du im Leben und wohin wolltest du?

 

Wie haben Sie Ihre beiden Hauptdarstellerinnen gefunden?   

ELISABETH SCHARANG: Es stand für mich von Beginn an fest, dass ich möchte, dass Brigitte Hobmeier die Hauptprotagonistin Marian Malin spielt. Es ist lange her, dass wir nach einer Preisverleihung, bei der wir beide ausgezeichnet wurden, nebeneinandersaßen. Ich habe diesen Abend nie vergessen und wollte unbedingt mal mit ihr arbeiten. Bei der Rolle der Gerti, die nicht auf Gerti Drassl geschrieben ist – die Namensgleichheit ist wirklich ein Zufall – hatte ich auch nur zwei Schauspielerinnen im Kopf. Vor zwei Jahren hatte ich beide zu einem Casting gemeinsam mit Brigitte Hobmeier eingeladen. Gerti Drassl ist als meine Idealbesetzung daraus hervorgegangen. Ich habe 2004 schon Mein Mörder mit Gerti Drassl gedreht. Es war meine erste Spielfilmregie und für sie eine ihrer ersten großen Filmrollen. Ich freue mich unglaublich, dass wir jetzt wieder zusammenkommen, noch dazu mit der Wega-Film, die damals auch diesen Film produziert hat.

 

Interessant ist an der Figur der Marian auch, dass sie als urbane Frau nicht erst in der Konfrontation mit der Natur lernen muss, sich zurechtzufinden. Sie hat in ihrer Kindheit dieses Leben erfahren und kommt zurecht. Ihre Rückkehr in das leere Haus scheint weniger mit einem Kampf mit der Natur verbunden zu sein.

ELISABETH SCHARANG: Es geht vor allem um den Kampf mit sich selber. Mit Einsamkeit, mit Zeit. Sie hat ja plötzlich sehr viel Zeit, kein Internet, keinen Fernseher. Marian ist auch von ihrem Beruf her als investigative Journalistin eine Kämpferin. Sie ist teamfähig, aber auch stur. Sie muss schon tief einbrechen, damit sie Schmerz zulässt und sich in ihrem System grundlegend etwas verändern kann. Stolz und Scham – sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht und es nicht immer alleine geht – sind bei beiden Frauen in meinem Film ein großes Thema. Es ist nicht so einfach, sich hinzustellen und zu sagen: Ich schaffe es nicht.

Ein großer Unterschied zu einer Geschichte wie Die Wand, auf die ich immer wieder in Zusammenhang mit meinem Film angesprochen werde, ist, dass es bei mir um Freundschaften geht; und um die Konfrontation mit der Natur, aber auch mit der eigenen Natur. Es hat etwas von einer Wildwest-Geschichte im Waldviertel, die man ganz gut auch in Kanada drehen könnte.

 

Wonach haben Sie gesucht, als Sie auf Locationsuche gegangen sind?

ELISABETH SCHARANG: Das ist eine schöne Geschichte. Wir waren bereits ein Jahr unterwegs, haben uns sehr viele Häuser angeschaut und nichts hat hundertprozentig gepasst. Ich erinnerte mich, dass ich vor zehn Jahren zu Silvester mit Freund*innen ein Seminarhaus gemietet hatte und dass der Wald dort besonders schön war. Ich bin dann an einem Wochenende mit meinem Mann, der auch Tonmeister für diesen Film ist, losgefahren, mit der Absicht, diesen Ort wieder zu finden. Wir sind falsch abgebogen und standen plötzlich auf einer Lichtung, wo am Ende der Straße ein altes Haus stand und ich wusste: genau so habe ich es mir vorgestellt. Es ergab sich, dass die alte Frau, die dort ihr Leben lang gewohnt hatte und deren Mutter auch schon dort aufgewachsen war, ein dreiviertel Jahr davor gestorben war. Sie hatte eine Enkeltochter, die im Alter von Gerti und Marian ist und mit ihr haben wir Kontakt aufgenommen. Sie hat ihre Großmutter sehr geliebt und sie hängt an diesem Haus, das voller Erinnerungen für die steckt. Innen war alles noch so, wie es die alte Frau hinterlassen hatte. So etwas kann man nicht herstellen, ein Kumulat aus 80 Jahren Leben, eine Mixtur aus Modern und Alt.

Für die Enkelin war klar, dass sie das Haus längerfristig verändern muss, weil es ja nicht einmal eine Heizung hat. Sie hielt den Filmdreh aber für eine schöne Möglichkeit, das Haus ihrer Großmutter zu verewigen. Und so wird es auch sein. Besser geht es nicht.

 

Wann werden die Dreharbeiten beginnen?

ELISABETH SCHARANG: Am 2. November, dem Jahrestag des Attentats. Das ist ein Zufall. Das Buch ist auf Jahreszeiten geschrieben, die auch stattfinden müssen. Wenn wir Glück haben und der Schnee im November, Anfang Dezember kommt, werden wir diesen Teil im Waldviertel in einem Block drehen können. Wenn nicht, kommen wir im Winter wieder und dann nochmal im Frühjahr. Die Szenen mit dem Terroranschlag werden wir ebenfalls im Frühjahr in Wien drehen, genau dort, wo ich am Abend des Anschlags war.

 

Jetzt wenige Wochen vor Drehstart, sind Sie gerade dabei, mit Ihren Hauptdarstellerinnen zur Einstimmung auf den Set aufzubrechen.

ELISABETH SCHARANG: Brigitte Hobmeier war noch nie in dem alten Haus. Ich habe ein Auto voll mit ihrem Kostüm, mit Taschenlampen und warmen Klamotten. Wir werden ein paar Tage dort verbringen und das Haus und den Wald drum herum, gemeinsam erkunden und die Stimmungen einsaugen. Sie wird lernen, wie man den alten Ofen dort einheizt, wie man Holz hackt, wie sich das alte Bett der Großmutter anfühlt und wie die Lebensmittel in der Speis sortiert sind. Sie wird den Ort der Kindheit ihrer Figur als Erinnerung abspeichern, bevor wir am ersten Drehtag dorthin zurückkehren. Brigitte wollte ursprünglich im alten Haus übernachten. Davon werde ich aber abraten, es ist schon richtig kalt da oben. Gerti Drassl wird auch kommen und „ihr“ Haus, also den Nachbarhof kennenlernen, samt „ihren“ Hühnern und „ihrem“ Traktor. Wir werden jetzt mal vier Tage ganz ohne Technik dort verbringen und uns auf den Ort einlassen.

 

Sie haben eingangs erwähnt, wie sehr die letzten zwei Jahre intensiver filmpolitischer Arbeit auf Ihr Filmschaffen abgefärbt haben. Welche Erfahrungen haben das bewirkt?

ELISABETH SCHARANG: Für mich war das ein gesellschaftspolitisches Anliegen. Es geht bei der Forderung um eine Geschlechterquote in der Vergabe von Fördermittel um eine simple Form von Verteilungsgerechtigkeit und ich habe vollkommen unterschätzt, was das für eine heftige Debatte vor allem unter Regisseuren auslösen würde.  Es geht bei dem Schritt, den das Österreichische Filminstitut mit der Einführung der Geschlechterquote, die im Aufsichtsrat mit einer Zweidrittelmehrheit in diesem Jahr beschlossen wurde, um einen Systemwandel, der alle betrifft. Es ist ein spannender Lernprozess, von dem kein Department ausgenommen ist: es betrifft Autor*innen und die Geschichten und Figuren, die sie sich ausdenken, es betrifft Gagentransparenz im Team und dass Regisseurinnen nicht schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen, es betrifft Departments, die traditionell männlich besetzt sind, und in die künftig Frauen eingeladen werden sollen, zu arbeiten und zu gestalten. Es gibt Kolleg*innen, die Angst haben, dass all das dazu führt, dass die Kreativität und letztlich die Kunst beschnitten und durch ein Regelwerk eingeschränkt werden. Mehr Möglichkeiten für bisher marginalisierte Gruppen, und dazu gehören nicht nur Frauen, ist eine Erweiterung des Spektrums in der Kunst. Ich sehe darin nur Vorteile und keine Einschränkung; aber klar: der Verlust von gewachsenen Privilegien ist schmerzhaft. Das verstehe ich. Sich gegen gesellschaftliche Veränderungen zu stellen, die zum Glück nicht mehr aufzuhalten sind, ist allerdings nicht das, was man sich von Künstler*innen erwartet. Deshalb waren viele Beobachter*innen von außen erstaunt, dass die Diskussion über die Gleichstellung gerade unter den Filmregisseur*innen so emotional geführt wurde.

 

Hat sich dieser Bewusstseinsprozess auch auf die Zusammenstellung Ihres Teams ausgewirkt.

ELISABETH SCHARANG: Ich hab Menschen in meinem Team, wie z.B. Alarich Lenz, mit dem ich seit meinem ersten Film arbeite, der auch sein erster Film als Editor gewesen ist. Oder William Franck im Ton und Jörg Widmer an der Kamera, die unersetzlich für mich sind. Diese Zusammenarbeit werde ich auch fortsetzen. Aber ich habe mit Nina Salak für das Szenenbild, Carola Pizzini für das Kostüm, Lisa Olah für das Casting, Sam Dopona für die Maske, Veronika Hlawatsch für das Sounddesign, Ires Jung als Regieassistenz und nicht zuletzt Ulrike Lässer als Herstellungsleiterin viele tolle Frauen am Set. Durch die Zusammenarbeit mit ihnen, konnte ich aus einem Mechanismus aussteigen, den ich früher in der Zusammenarbeit mit Kollegen oft verspürt habe: ein Wettbewerbsgedanke, auch wenn man im selben Team spielt. In meinem aktuellen Team überwiegt das Gefühl, dass alle unglaublich unterstützend sind; es findet ein aktiver Austausch auf Augenhöhe statt und alle Departments interessieren sich auch für die Arbeit der anderen. Ich habe mich noch nie so aufgehoben gefühlt. Das ist wirklich schön. Jetzt bin ich 52, ich bin als Regisseurin in der Mittelstation angekommen; aber diesmal fühlt es sich dennoch neu an, auch weil rundum einiges in Bewegung ist. In den letzten Wochen sind über 40 Regisseur*innen aus dem Verband Filmregie ausgetreten, weil sie sich einen Systemwechsel wünschen. Die Welt verändert sich, auch wenn du selbst stehen bleibst. Du kann dich aber entscheiden, welche Position du einnimmst: Möchtest du zuschauen oder möchtest du gestalten und ausprobieren?

 

Interview: Karin Schiefer

Oktober 2021