© Pamela Rußmann

 

„Wir sind alle ein bisschen on edge.“

 

In der Patchwork-Familie rund um Wanda und Harald hat sich nicht allzu viel verändert. Im Leben an sich ist angesichts von Pandemie, Impf-, Klima- und Genderdebatten, abstruser Ego-Trips und wachsender Zukunftsängste allerdings gar nichts mehr so wie es war. Was ein vielschichtiges Familienleben nun doch ganz schön verkomplizieren kann. Besonders an einem Weihnachtsabend. In Eva Spreitzhofers neuer Komödie WIE KOMMEN WIR DA WIEDER RAUS? soll wieder gemeinsam im Kino über das gelacht werden, was seit einigen Jahren Familien und unsere Gesellschaft entzweit hat.

 

WOMIT HABEN WIR DAS VERDIENT?, der 2018 in den Kinos war, kann man ein Kernthema zuordnen: pubertierende Tochter in linksliberaler Patchworkfamilie trägt Kopftuch. In WIE KOMMEN WIR DA WIEDER RAUS? haben wir es nun mit einer multiplen Themenlage zu tun: Haben sich einfach mehrere Themen angeboten oder war es vielmehr die komplexe Problemlage, mit der die Menschen zurzeit konfrontiert und auch überfordert sind, die Sie zum Stoff Ihrer neuen Komödie gemacht haben?

EVA SPREITZHOFER: Ich glaube, dass ich beim ersten Teil genau den Zeitpunkt erwischt habe, wo das Thema Kopftuch so virulent war, dass sich die Leute gefreut haben, eine Komödie darüber zu sehen, obwohl sie sich gar nicht vorstellen konnten, dass man über so ein komplexes Thema auch lachen kann. Beim zweiten Teil ist es ähnlich: Die Themen Corona, Transgender, Klimaaktivismus könnten auch die Reaktion auslösen Oh nein, wir wollen von diesen Themen nichts mehr hören und kann man daraus überhaupt eine Komödie machen? Das war genau die Herausforderung, die mich gereizt hat. Was die beiden Filme gemeinsam haben, ist, dass sie beide komplexe Themen ansprechen, die uns gerade sehr beschäftigen und dass die gleichen Figuren vorkommen. Ansonsten ist WIE KOMMEN WIR DA WIEDER RAUS? ein völlig eigenständiger Film. Es ist vom Format ein Kammerspiel, das am Weihnachtsabend spielt und Nina (Chantal Zitzenbacher), die Tochter, hat zwar immer noch ein Kopftuch auf, aber das ist nicht mehr das Thema.

 

Gab es Für und Wider bei den Überlegungen zu einem zweiten Teil?

EVA SPREITZHOFER: Es kam praktisch bei jedem Q&A die Frage, wann es einen zweiten Teil geben würde, weil die Leute Lust hatten, diese Familie wiederzusehen. Für mich war aber immer klar, dass ich erst dann einen zweiten Teil machen würde, wenn mir etwas einfällt, was ich auch ohne den ersten Teil thematisiert hätte. Es ist ja ein Kinofilm und keine Fernsehserie. Zweite Teile sind immer schwierig, weil die Latte sowohl bei den Filmemacher*innen, als auch beim Publikum sehr hoch liegt. Andererseits hat ein zweiter Teil eben den unglaublichen Vorteil, dass man die Figuren und auch die Schauspieler*innen gut kennt und auf etwas aufbauen kann. Wir hatten das große Glück, in derselben Wohnung drehen zu können, wie beim Teil 1. Das war für die Schauspieler*innen und das Team (das großartiger Weise fast dasselbe ist) wie Nach-Hause-Kommen. Immer wieder haben Passant*innen vor dem Haus, wo wir gedreht haben, gefragt, was wir da gerade machen und haben uns voll Vorfreude auf den 2. Teil erzählt, dass sie sich noch ganz genau erinnern können, wie die Wohnung im ersten Teil ausgesehen hat. Auch das Team und die Schauspieler*innen waren begeistert, einen zweiten Teil zu machen. Obwohl wir beim ersten Einreichtermin nur vom Filmfonds Wien gefördert wurden und bei ÖFI und ORF noch einmal einreichen mussten, haben sich wirklich alle für den Dreh freigehalten und wir konnten so den ursprünglich geplanten Drehtermin einhalten. Wären wir nicht gefördert worden, wären alle ohne Projekt für diesen Zeitraum dagestanden. Das hat mich unglaublich berührt und angespornt, zu wissen, wie wichtig das Projekt allen ist.

 

Das Wort „Kammerspiel“ ist bereits gefallen; bedeutet es fürs Drehbuch-Schreiben, dass zunächst die Figuren sehr exakt definiert werden müssen, bevor man beginnt, das Aufeinandertreffen der divergenten Meinungen, die Spannungen und Gewichts­verlagerungen in dieser Familienkonstellationen zu entwickeln? Gab es auch neue Figuren?

EVA SPREITZHOFER: Zunächst hatte ich gar nicht vor, ein Kammerspiel zu machen. Einerseits gab es die Idee, einen zweiten Teil zu schreiben und andererseits wollte ich eine Komödie zum Corona-Wahnsinn machen. Ich hatte gleich zu Beginn der Pandemie im März 2020 zum ersten Mal Corona, habe dadurch meinen Geruchs- und Geschmackssinn verloren und bis heute nicht wirklich wieder zurückbekommen. Das war ein Riesen-Einschnitt in meinem Leben. Weil ich meine Erfahrungen damit über Social Media geteilt habe, war ich immer wieder in Talk-Shows und Diskussionsrunden eingeladen und habe mich aus persönlichen Gründen und auch als Vorbereitung zu diesen Sendungen sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt. Ich bin natürlich auch zu den Demos der Corona-Leugner*innen und  Impf­gegner*innen gegangen und es war absurd und beängstigend, wie da zwischen einem Meer an Österreich-Flaggen, Menschen mit ihren Kindern gegangen sind, die es null gestört hat, dass neben ihnen die Identitären mit bengalischen Feuern marschierten oder Demonstrierende, die einen Galgen trugen, an dem eine Puppe mit dem Namen des Gesundheitsministers baumelte und auch die gelben Judensterne „Ungeimpft“, schienen niemandem zu missfallen. Das hält man wirklich nur aus, wenn man daraus eine Komödie macht und auf einmal hatte ich die Idee, dieses Thema mit meinen Figuren aus WOMIT HABEN WIR DAS VERDIENT? zu verbinden. Wanda (Caroline Peters) und Harald (Simon Schwarz) sind ja beide Spitalsärzt*innen und es gibt so viele unterschiedliche Figuren in dieser Patchworkfamilie, die aus verschiedenen Richtungen und Generationen kommen und dadurch unterschiedliche Meinungen und Gefühle zur Pandemie haben können. Und wie lässt sich eine Lockdown-Situation besser erzählen, als am Weihnachtsabend, wo man über mehrere Stunden zusammengespannt ist und nicht wegkann, egal was passiert? Ich begann zu überlegen, welche neuen Figuren es inhaltlich noch braucht und wer da auch komödiantisch gut dazu passen könnte. Neu dabei sind Michael Ostrowski, als Bruder von Tony (Marcel Mohab) mit seiner Freundin Ivana, die von Marina Lackovic, der Kabarettistin Malarina, dargestellt wird und Felix Rank, der den Freund von Klara (Anna Laimanee) spielt. Hilde Dalik war als Sissy im ersten Teil ja schwanger und beim Dreh des ersten Teils auch real schwanger, so ist ihre Tochter Cosima nun ebenfalls Teil der Familie. Und Walter Sittler hat einen Gastauftritt als Vater von Wanda.

 

WIE KOMMEN WIR DA WIEDER RAUS? spricht ja nicht nur das Corona-Thema an, sondern auch den Klimaaktivismus, Wokeness, Jugendkultur, Umgang mit Social Media, Bitcoin-Business im Darknet. Wieviel Recherche brauchte es, damit die Geschichte auch glaub­würdig und authentisch wird?

EVA SPREITZHOFER: Ich bin ein Recherche-Junkie und ich liebe es, zu recherchieren, mit Menschen zu reden und in ein Thema einzutauchen. Ich liebe es auch, dass meine Sicht auf Dinge dadurch verändert oder auch bestärkt wird. Sowohl beim Thema Transgender, als auch beim Klima-Aktivismus habe ich unglaublich viel erfahren, was ich nicht wusste und was ich extrem spannend fand. Unser Verleiher Michael Stejskal vom Filmladen hat nach einem ersten Screening gemeint, das Schöne am Film sei, dass es neben den vielen lustigen Szenen immer wieder Momente gibt, bei denen man etwas Neues erfährt, ganz nebenbei. Wie im ersten Teil geht man aus dem Film und sagt sich vielleicht, das muss ich jetzt mal googeln oder mit jemandem darüber reden und vielleicht anders zuhören als vorher.

Wir haben ja durch die Corona-Pandemie eine existentielle Situation erlebt. Auch dass Russland Krieg gegen die Ukraine führt und die verheerenden Auswirkungen der Klima­katastrophe, die täglich sichtbarer werden, ist eine ungeheure Belastung für uns alle. Es gibt so viele Probleme, die so vieler komplexer Lösungen bedürfen, dass viele Menschen sagen Kann es bitte einfach wieder so sein wie früher? Aber das geht halt eben nicht, weil uns so viele Themen so nachhaltig beschäftigen und wir sie nicht auseinanderklamüsern können. Deshalb wollte ich mich auch nicht auf ein Thema beschränken, weil das ja genau unser Problem ist, dass wir von der Fülle der Probleme komplett überfordert sind. Das ist auch das Thema des Films. Und das passt dann wieder zu Weihnachten und zu einer (Patchwork)Familie. Wir erleben einen Abend, wo wir Menschen zuschauen, die versuchen, dass alles schön und harmonisch ist und es nicht eskaliert und dann kracht es natürlich genau deshalb doch. Die Adoptivtochter Klara bringt es an einer Stelle auf den Punkt – Es ist Weihnachten, ich glaub, wir sind alle ein bisschen on edge. Das ist eine Art Überschrift, mit der man sich gut wiederfinden, im Kino sitzen und sagen kann Ja, genau. Kenn ich. Kenn ich. Kenn ich.

 

Was bedeutet es, zu schreiben, um Lachen zu erzeugen? Schreiben Sie zu zweit? Braucht es eine gewisse Stimmung? Ist es ein langsames Herausarbeiten?

EVA SPREITZHOFER: Ich schreibe alleine. Die schwierigste Phase ist die des Ausdenkens, weil es ja unendlich viele Möglichkeiten gibt, eine Geschichte zu erzählen. Wenn ich schon mal auf etwas gekommen bin, wo ein Ablauf ganz gut funktioniert, dann geht es mir gut, denn Dialoge-Schreiben liebe ich. Ich notiere auch oft Dialoge, die ich irgendwo höre und adaptiere sie dann, weil die Realität ist immer lustiger, als die Fantasie. Und ich probiere alle Dialoge laut aus. Gerade bei Pointen ist es sehr wichtig, dass sie nicht nur beim Lesen lustig sind, das ist eine Frage des Timings. Beim Dramaturgischen tausche ich mich gerne mit anderen aus und habe dafür mittlerweile einen Pool von Leuten: der Schriftsteller Doron Rabinovici und die Journalistin Tessa Szyszkowitz, zwei meiner ältesten und längsten Freund*innen, haben alle Fassungen gelesen und mir Feedback gegeben. Meine Töchter ebenfalls, sie sind mit 23 und 25 Jahren auch ein sehr gutes Korrektiv, weil sie eine andere Generation und sehr streng sind: Mama, so kann man random nicht verwenden. Und Marie Kreutzer, die schon bei Teil 1 und nun auch beim zweiten Teil die Dramaturgie gemacht hat.

 

Wie war es beim Drehen, wenn man die „Familie“ wiederfindet, mit der man schon ein so erfolgreiches Projekt erledigt hat?

EVA SPREITZHOFER: Es ist natürlich großartig, miteinander zu arbeiten, wenn man sich gut kennt und gut versteht. Mein Motto beim Dreh ist sowieso immer „Drehzeit ist Lebenszeit“ und „Net hudeln, soviel Zeit hamma net.“ Ich gebe gerne allen viele Freiheiten, aber es ist auch wichtig, den Überblick zu behalten und auf Dingen zu bestehen, weil am Ende habe ich halt den ganzen Film im Kopf und sehe teilweise auch schon, was im Schneideraum vielleicht rausfliegen wird oder anders montiert wird oder ich für den Schnitt vielleicht etwas Bestimmtes brauche, was sich nicht so leicht erklären lässt. Es ist auch spannend, wenn es Dynamiken zwischen den Schauspieler*innen gibt, und wir versuchen dann, diese für die Familiensituation, die sie spielen, zu benützen. Das Drehen mit so vielen Schauspiele*innen in immer derselben Wohnung, das war schon eine Herausforderung. Und das dann auch noch ohne Tageslicht, weil alles ja in der Nacht spielt und deshalb die Fenster von außen mit einer Holzverkleidung verkobelt waren – das ist noch viel extremer, als wir zunächst gedacht hatten.

 

Ist der Weihnachtsfilm ein besonders reizvolles Genre für eine Komödienautorin?

EVA SPREITZHOFER: Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass es so eine Fülle an Weihnachts­­filmen gibt. Ich dachte, ich kenne die meisten, aber es gibt gefühlt noch Tausende andere, die ich in den verschiedenen Stadien der Vorbereitung angeschaut habe. Sie sind natürlich unterschiedlich gut, aber es zeigt, dass es eine riesige Nachfrage gibt, diese Weihnachtsabend-Erfahrung zu teilen. Es ist ein Genre, das alle sehr gut kennen und mögen und das übt natürlich einen besonderen Reiz aus, beim Schreiben, beim Drehen und jetzt in der Postproduktion. Aber wenn wir wieder einmal eine sehr, sehr schräge Situation gedreht haben, hat meine Kamerafrau Eva Testor immer wieder lachend gesagt: Eva, was du da machst, ist eigentlich ein Weihnachts-Dekonstruktionsfilm.

 

Die Pandemie ist inzwischen für beendet erklärt. Vieles ist im Alltag wieder so, als wäre nie etwas gewesen. Man hätte meinen können, dass Covid unser Leben nachhaltiger verändert. Wie ist Ihr Eindruck? Sehen Sie ein Prä- und ein Post-Corona in der Gesellschaft?

EVA SPREITZHOFER: Ich glaube, das Ausmaß, wie sehr die Pandemie die Gesellschaft verändert hat, wird man erst im Nachhinein sehen. Wir waren alle in einem kompletten Ausnahmezustand. Es sind laut WHO 6,9 Millionen Menschen weltweit an Covid 19 gestorben, es sind Menschen nach wie vor schwer erkrankt geblieben, Kinder und Jugendliche konnten nicht das Leben leben, das sie sonst gelebt hätten, es sind an den Diskussionen Freundschaften zerbrochen. Zu Beginn haben die Menschen aus Solidarität gesungen, dem Personal im Krankenhaus applaudiert, für einander eingekauft … da hätte ich täglich heulen können, weil ich den Eindruck hatte, die Menschen sind so solidarisch und das bleibt vielleicht auch so. Das ist dann unglaublich schnell verschwunden. Die Wissenschafts­feindlichkeit ist in Österreich noch stärker geworden. Viele Menschen haben gegen die Impfung, die der absolute Game-Changer für die Bewältigung der Pandemie war, agitiert und tun es jetzt gegen Impfungen generell. 2023 gibt es plötzlich wieder eine Masern-Epidemie! Es ist so absurd. Auch, dass die Klimasituation sich in den Lockdowns rapide verbessert hatte, hat nicht dazu geführt, dass wir daraus etwas lernen und anders leben. Wir haben beim Drehen und beim Schneiden gemerkt, wie schnell wir wieder vergessen haben, was vor Kurzem unser Alltag war – das Begrüßen mit der Faust oder dem Fuß, das erschrockene Zurückweichen, wenn wer hustet, die Sorge, dass jetzt bitte niemand eine Diskussion übers Impfen beginnt, usw. Und so gesehen, ist WIE KOMMEN WIR DA WIEDER RAUS auch ein Zeitdokument, weil es ja bis jetzt kaum Filme gibt, in denen diese Zeit überhaupt irgendwie vorkommt. Was beim ersten Teil passiert ist und was ich mir auch beim zweiten Teil wünsche: Wir sitzen gemeinsam im Kino und lachen gemeinsam über etwas, was wir durchaus unterschiedlich erlebt haben – und danach gehen wir gemeinsam was trinken und reden darüber.

 

Interview: Karin Schiefer

Juni 2023