Leni Lauritsch – Sojus
„Hollywood führt uns gerne vor, wie einfach es ist, ein*e Held*in zu sein, wir wollen erzählen, an wie vielen Kleinigkeiten das Heldentum schon scheitern kann.“
Leni Lauritsch imaginiert für ihr Science-Fiction-Spielfilmdebüt Sojus nicht nur einen Weltraum, der längst von großen Firmen dominiert wird, das All erweist sich auch als sicherer Hafen, während sich auf der Erde ein ökologischer Kollaps ereignet. Auf der in die Jahre gekommenen International Space Station entpuppt sich zwischen den drei Crewmitgliedern ein spannungsreiches Kammerspiel rund um die Entscheidung zwischen einem isolierten Leben mit unerschöpflichen Ressourcen oder einer riskanten Rückkehr, die für die Überlebenden auf dem Planeten die einzige Rettung darstellen könnte.
Ihr Spielfilmdebüt Sojus spielt im Jahr 2076, also in einer vorstellbaren Zukunft, gleichzeitig erinnert der Titel an die Anfänge der damals sowjetischen Raumfahrt. Wie ist dieser zeitliche Kontext entstanden?
Leni Lauritsch: Ursprünglich war der Titel Sojus nur ein Platzhalter, gleichzeitig ist es gang und gäbe, dass Modellnamen für eine lange Zeit gleich bleiben. Je mehr ich auch mit meinem Set-Designer Johannes Mücke gesprochen habe, desto mehr haben wir den Umstand ins Buch einfließen lassen, dass unsere Raumstation – die ISS (International Space Station) – ein Ort ist, wo immer wieder draufgebaut wurde. Ein Clou des Drehbuchs liegt darin, dass auch Technik von vor vielen Jahren zum Einsatz kommt und wir sie wieder benutzen. Im Filmtitel steckt auch die Idee vom Recyclen und Geld sparen. Es ist eine Tatsache, dass nicht immer alles erneuert wird. Es ist tatsächlich so, dass neueste Technologie vorhanden ist, daneben aber auch alte sowjetische Schalter noch Verwendung finden. Außerdem habe ich eine generelle Liebe zu allem, was russisch ist. Dazu gehört auch der Name Sojus. Möglicherweise werden wir aber noch einen neuen Namen für die gesamte Station finden. Der Titel Sojus reflektiert auch die Entwicklung des Drehbuchs, da anfangs die Sojus als Rettungskapsel eine wichtigere Rolle gespielt hat.
Wie sehr, von wem und von welchen Interessen ist in diesem Jahr 2076 der Weltraum vereinnahmt?
Leni Lauritsch: Wir haben eine Zukunft entworfen, wo es keine Staaten mehr gibt, sondern wo die Welt den großen Firmen gehört. Forschung im Weltall ist eigentlich bereits überwunden; das war einmal eine unheimlich geldintensive Sache. Jetzt geht es darum, dass die ISS ein letztes Überbleibsel einer Forschungsstation darstellt, wo im Sinne der Menschheit geforscht worden ist. Sie steht kurz vor ihrer Auflassung. Es ist ganz offensichtlich ein Ort, wo ein*e Wissenschaftler*in nicht mehr wirklich hin will. Wenn sie*er dort ist, dann ist das möglicherweise in einer „Bestrafungsmission“. In unserem Szenario spielen Umweltthemen und gesellschaftliche Katastrophen eine dominante Rolle, so sehr, dass Firmen aus PR-Gründen da oben noch grüne Projekte betreiben. Das galt mal als cool und imagefördernd, langsam ist dafür aber kein Geld mehr da. Inzwischen ist das, was oben im All erforscht worden ist, unten auf der Erde bereits implementiert. Finanziell betrachtet ist auch die real existierende ISS komplett unrentabel. Das Problem ist, dass man sie nicht mehr aus dem All herunter bekommt, weil man nicht berechnen kann, wo sie auftreffen würde. Für eine Zerstörung gibt es kein Szenario. Den Hintergrund für unseren Film liefert die reale, von beiden Mächten – USA und Russland – gemeinsam betriebene Forschungsstation. In unserem Film hat sie aber bereits einen Firmennamen: Nibra Haven. Neoliberalismus, der ins Absurde geführt wird, ist eines unserer zentralen Themen. Zur Zeit wird dort im Bereich der zero gravity geforscht, was auf der Erde oder für Marsmissionen genutzt werden kann. Das Projekt mit der algenbasierten Ernährung, das wir uns für den Film ausgedacht haben, ist in der Zwischenzeit ein Projekt, das für long distance space travellers wirklich umgesetzt wird. Wir gehen in unserer Zukunftsversion davon aus, dass auch dieses Projekt irgendwann ins Leere gelaufen ist. Die ISS war ein Projektionsort für große, oft männliche Ambitionen, heute ist sie ein großer Geldfresser, der immer wieder befüllt werden muss und eher eine Bedrohung darstellt, weil eben niemand ihre Zerstörung berechnen kann. Weiters spielen wir auch ein bisschen damit, dass es sich um einen maroden Ort handelt, an den eine Figur strafversetzt wurde. Space hat ja so ein tolles, cooles Image, wir wollen ihn mal von der abgeranzten Seite zeigen.
Wie sind Sie grundsätzlich aufs Genre Science Fiction für ihre erste abendfüllende Arbeit gekommen? Haben Sie von Beginn an mit Jessica Lind geschrieben?
Leni Lauritsch: Ich bin ein bedingungsloser Star-Wars- und Star-Trek-Fan. Natürlich habe ich mir zunächst auch darüber Gedanken gemacht, als meinen allerersten Langfilm einen sicheren Weg zu wählen und ein typisches Drama zu erzählen. Dann kam aber die Überlegung, dass mit einem Filmprojekt so viel Zeit und Selbstaufopferung mit so wenig Geld verbunden ist, dass es etwas sein muss, wo ich mit ganzem Herzen dabei sein kann. Science-Fiction-Filme wie Moon oder Ex-Machina haben mich ermuntert, dass ein SF-Film auch mit gar nicht so viel Geld machbar ist. Wichtig ist es, eine gute Handlung zu haben. Dazu kommt erleichternd, dass mein Freund Markus Kircher VFX-Supervisor ist und in Kanada viel für Hollywood gearbeitet hat. Weiters haben wir den Set-Designer Johannes Mücke dabei, der auch für Roland Emmerich gearbeitet hat. Ich habe zunächst allein begonnen, die Geschichte zu entwickeln und hab mir dann Jessica Lind als Dramaturgin dazugeholt. Unsere Zusammenarbeit war so stimmig, dass sie Koautorin geworden und mit mir durch alle schwierigen Phasen des Entstehungsprozesses gegangen ist.
Warum ist das Drehbuch auf Englisch entstanden?
Leni Lauritsch: Da stecken keine Vermarktungsgründe dahinter, es war einfach naheliegend. Auf der ISS, wohin immer Vertreter von den USA, Russland, der ESA und manchmal auch aus Kanada geschickt werden, ist Englisch die verbindende Sprache, die von allen gesprochen wird. Ich finde es charmant, wenn mehrere Kulturen aufeinanderstoßen, die dann auch sprachlich in ihren Akzenten zum Ausdruck kommen. Englisch mit russischem Akzent gehört zu den Details, die mir große Freude machen, sie in meinem ersten Spielfilm zu haben.
In der Weite des Alls konzentriert sich die Geschichte letztlich auf einen Dreieckskonflikt in der Manier eines Kammerspiels. Worauf spitzt sich dieser Konflikt zu?
Leni Lauritsch: Während die drei oben an der ISS ihre Mission erfüllen, geht unten auf der Erde gerade die Welt unter. Die klassische Reaktion wäre: „Oh Gott, wir sind da jetzt völlig abgeschieden und in Gefahr!“ In unserem Buch ist genau das Gegenteil der Fall. Für Nahrung ist aufgrund der Algen, die sich immer wieder neu generieren für unbegrenzte Zeit gesorgt. Die Strahlung ist in diesem Zukunftsszenario auch nicht mehr relevant. Die drei könnten herrlich alleine in der Raumstation leben. Es geht also auch um die Auseinandersetzung mit der Situation, dass die drei draußen im All in Sicherheit sind und nichts zur Rettung der Erde beitragen zu können. Ein Notruf macht aber plötzlich deutlich, dass es doch mehr Überlebende auf der Erde gibt, als die Ergebnisse der Datenforscher vermuten ließen. Es geht um die Frage, die uns zur Zeit auch in unseren Breiten beschäftigt: wir haben Ressourcen im Überfluss, es geht uns gut. Unser Leben stagniert vielleicht eher in einer großen Irrelevanz. Wir haben aktiv die Möglichkeit, diese Ressourcen zu teilen, was auch im Falle der drei im Weltall zutrifft. Die drei Figuren reagieren alle komplett verschieden. Einer ist völlig auf sich bezogen und will seine gute Position nicht aufs Spiel setzen; einer ist sehr jung und von der Haltung des Weltverbesserers bestimmt. Die dritte Figur – die Identifikationsfigur für den Zuschauer – hat sich mit der Frage noch nie beschäftigt, sie lebt in keinem dieser Extreme und hat ihren Blick in beide Richtungen offen. Sie ist als Projektleiterin letztlich auch die Entscheidungsträgerin. Dadurch, dass jeder von unterschiedlichen Motiven geleitet ist, kommt extrem viel Konfliktpotenzial zusammen.
Es geht also gar nicht ums Überleben im All, sondern vielmehr um eine Rückkehr, die für die verbliebenen Menschen auf dem Planeten eine entscheidende Hilfe bieten könnte.
Leni Lauritsch: Es geht um eine riskante Rückkehr und in erster Linie um die Solidaritätsfrage. Unten sind die Menschen in einer ähnlichen Lage wie sie oben, jedoch ohne über Ressourcen zu verfügen. Die Algen sind in Symbiose mit dem Menschen ein selbstlaufendes System, das absolut teilbar und transferierbar wäre. Es stellt sich nur die grundsätzliche Frage, ob man bereit ist, die eigene Sicherheit und Bequemlichkeit zu verlassen. Was schuldet man der Welt? Was schuldet man der Gesellschaft? Das ist eine aktuelle politische Frage. Sojus soll aber eine spannungs- und actiongeladene Geschichte werden, die man, wenn man es will, als Metapher sehen kann, aber nicht muss. Wir wollten das Konzept – im All die Unsicherheit/auf der Erde Sicherheit – einmal brechen und neu aufmischen. Wir sind in einem Helden-Genre und haben es mit drei Hauptfiguren zu tun, die nicht wissen, ob sie überhaupt Held*innen sein wollen. Das Helden-Konzept zu dekonstruieren war etwas, was Jessica und mich total gereizt hat. Hollywood führt uns gerne vor, wie einfach es ist, ein*e Held*in zu sein, wir wollen erzählen, an wie vielen Kleinigkeiten das Heldentum schon scheitern kann.
Die Projektleiterin in der Raumstation ist nicht nur die jüngste Figur, sondern auch eine Frau. Werden auch hier Stereotype aufgebrochen?
Leni Lauritsch: Ich finde, Science-Fiction ist einer der raren Orte im filmischen Erzählen, der von Rollenklischees befreit ist. Ich schaue gerade wieder Star Trek und da gibt es Anfang der neunziger Jahre tolle Frauenfiguren, die noch dazu postfeministisch sind. Es wird nie vermittelt: „Ich bin eine Frau und muss mich jetzt durchkämpfen“. Captain Janeway ist eine Frau in einer Welt, wo einfach Gleichberechtigung herrscht. Das will ich in unserem Film auch: dass Emanzipation ein Thema aus der Vergangenheit ist. Ich fände es schade, wenn jeder Film mit einer Frau in der Hauptrolle die Selbstbefreiung aus der männlichen Dominanz thematisieren muss. Unsere Frauenfigur hat einen militärischen Hintergrund und ist den beiden Männern auf der Station körperlich wahrscheinlich überlegen. Sie ist eher der Counterpart zu den beiden Männern, die für die wissenschaftliche und intellektuelle Ebene stehen.
Ein Science-Fiction Film stellt besondere Ansprüche an das Setdesign. Wie sehen da Ihre Vorstellungen aus?
Leni Lauritsch: Wir werden im Studio drehen und möchten unser Setdesign so reduziert wie möglich halten. Es geht uns ganz stark um die Beengtheit und das Klaustrophobische. Ich glaube, wir haben eine sehr smarte Lösung gefunden: Da es beinahe unmöglich ist, diese riesige Station zu bauen, haben wir sie gedrittelt. Wir werden die Dreharbeiten in drei Blöcke teilen und immer jeweils alle Szenen, die in einem Segment spielen, drehen. Dann wird umgebaut. Es wird auf alle Fälle sehr viel physisch gebaut werden. Das hab ich bei meinen Kurzfilmen gelernt, wo ich viel mit Effekten gearbeitet habe, dass es besser ist, so wenig wie möglich digital zu machen. Analog schaut immer schöner aus, man kann damit interagieren und für österreichische Verhältnisse ist es auch billiger. In den USA wird viel digital gemacht, weil die Schauspieler so teuer sind. Bei uns ist das ja nicht der Fall. Johannes Mücke hat dafür ein großes Verständnis, viel Liebe zum Detail und ein Gespür für Materialien. Er hat schon bei Independence Day mitgearbeitet, lebt in Wien, und ich glaube, er brennt darauf, dieses Genre auch nach Österreich zu bringen. Es ist beeindruckend, wie man es trotz geringer Mittel hinbekommen kann. Ich habe auch eine tolle Ausstatterin, die vor Ideen nur so sprüht. Computergenerierte Bilder wird es für die Szenen geben, die außen spielen, aber auch da gehen wir sehr gezielt damit um. Die Katastrophe, die auf der Erde passiert, zeigen wir nur so, wie sie oben in der ISS über Monitore rezipiert werden kann. Für diese Bilder gibt es sehr exakte und durchdachte Storyboards, weil jede Einstellung sehr viel Geld kostet. Die wenigen, die wir haben, sollen aber großartig und vor allem filmisch sein. Wenn in einem Film zuviel VFX vorkommt, wird es irgendwann beliebig und belanglos.
Sojus wird auch mit einer ganz jungen Produktionsfirma produziert, für die es eines der ersten Projekte ist.
Leni Lauritsch: Wir produzieren mit Samsara Film, einer jungen Firma, die von Loredana Rehekampff – sie war zuvor bei Aichholzer Film als Junior Producerin tätig – und dem Regisseur Andreas Schmied gegründet worden ist. Als Senior Produktionsfirma haben wir die Graf-Film. Ich bin über Loredana zur Samsara Film gestoßen. Wir hatten menschlich gleich einen sehr guten Draht zueinander und ich wollte mit einer jungen Firma zusammenarbeiten, auch wenn der Weg vielleicht schwieriger ist. Das Wichtige für mich ist, dass es ein Zusammenarbeiten auf Augenhöhe ist.
Interview: Karin Schiefer
Juni 2019