© Stefan Gremel

 

Letztendlich können wir von bestimmten alten, weißen Männern viel lernen.

 

John Heartfield ist einer der eminenten Grafikkünstler der deutschen Zwischenkriegszeit. Seine Plakate und Buchcover machten ihn in kurzer Zeit einem breiten Publikum bekannt, seine satirischen Collagen bald zur politisch unerwünschten Person. Heartfields Lebensgeschichte gleicht einer Irrfahrt durch die politischen Wirren des letzten Jahrhunderts. Katrin Rothe, in deren Filmsprache Dokumentarisches mit Animation verschmilzt, konfrontiert in BURNOUT MIT JOHN HEARTFIELD die Perspektive einer jungen Grafikerin aus dem Heute mit einer animierten Heartfield-Figur, um über das Verhältnis zwischen Kunst und (politischer) Haltung zu reflektieren.

 

BURNOUT MIT JOHN HEARTFIELD setzt sich mit einem der wesentlichen deutschen Grafikkünstler des 20. Jahrhunderts auseinander. War er für Sie ein Wegbegleiter oder haben Sie ihn erst in jüngerer Zeit entdeckt und deshalb zu einem Filmprojekt über ihn gefunden?

KATRIN ROTHE: John Heartfield ist mir seit Anfang der neunziger Jahre ein Begriff. Besonders eingeprägt haben sich ganz konkrete Collagen wie die einer Hyäne, die über ein Schlachtfeld läuft oder Hitler als Hampelmann. Er ist mir vor allem immer wieder als Dadaist begegnet. Und ich habe ihn vor wenigen Jahren wiederentdeckt, als ich auf der Suche nach einem deutschen Künstler der zwanziger/dreißiger Jahre war; ich war selbst verwundert, dass ich mich noch nicht früher mit ihm auseinandergesetzt hatte, vor allem deshalb, da er ein Collagen-Künstler war und ich meine Dokumentarfilme mit Formen von Animation verbinde. Ich verwende eine analoge Collagentechnik, weil ich sie für sehr geeignet halte, Geschichten und Schichten der Geschichte zu erzählen. Es war dann eine unglaubliche Entdeckung festzustellen, dass er einer der allerersten deutschen Trickfilmer gewesen ist und auch die Trickfilmabteilung der UFA aufgebaut hat. Er geht sehr spielerisch an seine Arbeit heran, pickt Elemente aus den verschiedensten Kunstrichtungen heraus und mixt und kreuzt das. Etwas, das ich als sehr inspirierend empfinde und selber gerne mache.

 

John Heartfields (1891-1968) Lebensgeschichte war sehr eng mit den politischen Entwicklungen in Europa, insbesondere in Deutschland verbunden. Können Sie uns davon ein kurzes Aperçu geben?

KATRIN ROTHE: Zunächst hat er einige Jahre seiner Kindheit in einer Waldhütte gelebt, der dortige Bürgermeister hat die politisch verfolgte Familie unterstützt. Doch eines Tages waren seine Eltern verschwunden und auf der Psychiatrie gelandet. Heartfield ist dann bei Pflegeeltern aufgewachsen, hat eine Buchhändlerlehre gemacht und wurde stark von den Ereignissen des Ersten Weltkriegs geprägt. In künstlerischen Kreisen haben diese Erfahrungen in einer spielerisch-aggressiven Nonsense- und Politkunst ihren Ausdruck gefunden. Heartfield stand in Verbindung mit Otto Dix und George Grosz, der ein guter Freund von ihm war. Aus dem politischen Dada in Berlin hat sich ein sehr produktives und inspirierendes Arbeitsumfeld in Berlin ergeben. Heartfield machte sehr viele Bücher und hat dafür eine neue Art des Buchumschlags erfunden. Eines der kommunistischen Ideale war die Bildung der einfachen Menschen. Seine Überlegung war daher, billige Bücher herzustellen mit Umschlägen, die ein Foto und eine einzeilige Message beinhalteten. Er war auch einer der ersten Künstler, der gegen die Nationalsozialisten Stellung genommen hat. Je stärker deren Einfluss wurde, umso beißender waren seine Kommentare, mit der Konsequenz, dass er einer der ersten Künstler war, der bereits 1933 fliehen musste. Er hat zunächst vom Prager Exil aus gearbeitet und in dieser Zeit seine stärksten Arbeiten gemacht, die ihm internationales Renommee einbrachten, allerdings führten sie auch zu diplomatischen Interventionen, die mit seiner Ausbürgerung endeten. Heartfield war staatenlos. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs ging er nach London, wo er als Deutscher zum feindlichen Ausländer wurde. Und auch als er nach Kriegsende in die DDR ging, nahmen die Auseinandersetzungen mit dem politischen System kein Ende. Er hatte sich große Hoffnungen auf eine Professur gemacht, mit dem Beginn des Kalten Kriegs blieb er als Kommunist, aber auch Rückkehrer aus dem Westen zwischen den Fronten. Die Partei, ein neuer Typus der zentralistischen Partei, distanzierte sich von Individuen wie Heartfield.

 

@ Katrin Rothe

War er aus politischem Idealismus in die DDR gegangen?

KATRIN ROTHE: Aktuelle Analysen geben da keine eindeutige Antwort. Man darf nicht vergessen, um während des Kalten Krieges in westlichen Ländern arbeiten zu können, musste man sich vom Kommunismus komplett lossagen, d.h. jemand, der so bekannt wie Heartfield war, stand in England unter ständiger Beobachtung. Er hätte sich komplett verleugnen müssen und selbst dann wäre es schwierig gewesen. Gerade mit seinen Bildern wurde sehr viel gegen Hitler agitiert, er hat einen großen Anteil am Bild, das von Hitler entstanden ist. Mit seiner Entscheidung, in die DDR zu gehen, hat er sich eine gute berufliche Zukunft erhofft, man muss auch sagen, dass er in London auch sehr arm gewesen ist. Ich würde es weniger Idealismus als vielmehr Pragmatismus nennen. Erst 1957, zehn Jahre vor seinem Tod, wurde er rehabilitiert, nachdem es zuvor ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn gegeben hatte, was ihm die berufliche Zukunft völlig verbaut hat, da größere Aufträge in der DDR ausschließlich Staatsaufträge waren. In seinen letzten Lebensjahren ist er dann als Künstler groß gefeiert worden.

 

Seine satirischen Arbeiten haben ihm schnell zu großer Bekanntheit verholfen. Wie war es mit den medialen Mitteln der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts möglich, eine so rasche Verbreitung der Arbeiten zu erzielen?

KATRIN ROTHE: Er kannte sich sowohl mit Grafik als auch mit Fotografie und den damaligen neuen technischen Möglichkeiten gut aus. Heartfield war jemand, der wusste, wie’s geht. Für die illustrierte Arbeiterzeitung wurde großflächig mit Bildern gearbeitet, flotte Sprüche hinzugefügt, manchmal etwas erklärt. Sie hatten den Anspruch, die politische Lage oder wichtige Entscheidungen auf ein Bild mit Textzeile runterzubrechen. Sie nannten das Fotomontage, um es auch von anderen Techniken abzugrenzen. Heartfield war nicht allein, sondern hatte auch Kollegen, die sich da engagierten. In der Blütezeit hatte diese Zeitung eine Auflage von zwei Millionen. Heartfields Collagen waren besonders einprägsam. Darüber hinaus hat er viele Flugblätter und Werbeplakate gestaltet. Seine Philosophie, die von der amerikanischen Reklame und seiner eigenen politischen Bildung geprägt war, hat er immer versucht einzuarbeiten und durchzusetzen. Das ist einer der Punkte, die mich auch in meinem Film beschäftigen: Wie geht es, gute Ideen als Grafikerin auch durchzusetzen? Was heißt es, überall – bei den eigenen Leuten ebenso wie bei den Feinden – anzuecken? In BURNOUT MIT JOHN HEARTFIELD gibt es die lebende Figur der Stefanie, die in der heutigen Zeit Grafikerin ist, die sich mit ihm beschäftigt und in seiner Welt landet. Sie bastelt eine Heartfield-Figur und setzt sich mit seinem Werk auseinander, dabei entstehen auch die Flashbacks zurück in Heartfields frühere Lebensgeschichte: es entsteht ein Damals aus Buntpapier, Pappe und anderen Materialien.

Es geht mir auch darum herauszufinden, was seine Überlegungen fürs grafische Arbeiten im Heute bedeuten könnten: Inwieweit passe ich mich an? Wo arbeite ich? Arbeite ich auf keinen Fall mit einem Gegner? Wo schließe ich mich mit jemandem zusammen? Das kann ich über die Figur der Stefanie deutlich zum Ausdruck bringen. Mein filmischer Zugang ist ein total haptischer. Heartfield war ja auch jemand, der alles mit der Hand gemacht hat. Er hat vergrößert, geklebt, geschnitten und gebastelt und Stefanie macht das auch. Unsere digitale Welt bietet so viele Möglichkeiten und ich finde es schön, sich wieder einmal darauf zu besinnen und das aktuelle Arbeiten zu hinterfragen, wo uns das sinnliche Erleben verloren gegangen ist.

 

© Stefan Gremel

Weist der Begriff des Burnouts im Titel auch darauf hin, dass Stefanie als Grafikerin in einer Sinnkrise steckt?

KATRIN ROTHE: Erst als sie allein mit ihren Problemen im Keller sitzt, wird ihr das Unpolitische ihrer Arbeit bewusst. Heartfield sagt im Film zu ihr:„Vielleicht hast du nicht zuviel, aber das Falsche gearbeitet und dich nicht durchgesetzt?“ Es gehört zu guter Kunst dazu, sich durchzusetzen. Das eine geht nicht ohne das andere. Ich glaube, unsere Mischung aus Digitalem und Analogem funktioniert sehr gut, wenn ich manchmal einen kleinen Ausschnitt zeige. Klar ging es bei Heartfield, der mit seiner Arbeit sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, um existenziellere Fragen. Entscheidend ist, dass wir zu dem, was wir tun, auch einen Bezug haben. Das Haptische und Sinnliche ist da ein wesentliches Element.

 

Welchen unterschiedlichen Techniken wird man in BURNOUT MIT HEARTFIELD begegnen?

KATRIN ROTHE: Wir animieren Heartfields Leben. Es gibt Animationen über seine Vergangenheit aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Dann auch die Figur John Heartfield selbst, die sich Stefanie selbst bastelt, die plötzlich zu sprechen beginnt, sich durchs Atelier bewegt und selbst sein Leben kommentiert. Eigentlich eine ganz simple Idee. Auf diese Art und Weise kann der Künstler selbst zu Wort kommen. Was ich ihn sagen lasse, entspringt einer sehr tiefgründigen Recherche: teils sind es Zitate, teils dialogisierte Dokumente.

 

Wie lange setzen Sie sich schon für dieses Filmprojekt mit John Heartfield auseinander?

KATRIN ROTHE: Das hat Ende 2017 begonnen, 2018 habe ich in den Archiven recherchiert, 2019 und 2020 habe ich das Buch geschrieben, Mitte 2020 kamen die ersten Förderungen und wir haben begonnen, die Figur zu entwickeln. Die Figur von John Heartfield ist einer engen Zusammenarbeit zwischen mir und einer Designerin entstanden, mit der ich schon lange zusammenarbeite. Die zusätzliche Förderung fürs Gender-Incentive war für uns übrigens ein schönes Extra-Geschenk. Es ist für mich seit langem eine Realität, mit vielen Frauen zu arbeiten. Ich hatte in meiner Ausbildung Professorinnen, habe mich immer durchgesetzt und gerne mit Frauen zusammengearbeitet. Auf alle Fälle habe ich dafür gesorgt, dass das Mehr an Geld, das wir zur Verfügung hatten, auch Frauen zugute kommt. Ein interessanter Aspekt in diesem Film ist auch die weibliche Sicht auf einen männlichen Künstler. Man könnte auch die Frage stellen, warum beschäftige ich mich als Künstlerin, die gerade die Glasdecke durchstoßen hat, mit einem alten weißen Mann? Meine Antwort ist: Weil ich von ihm lernen möchte. John Heartfield ist auf alle Fälle jemand, von dem man lernen kann, sich gegen widrige Umstände durchzusetzen. Letztendlich können wir von bestimmten alten, weißen Männern viel lernen.

 

Entstand die Idee zum Film auch aus einem Wunsch nach ihrem Film 1917 – Der wahre Oktober in der Chronologie weiterzugehen

KATRIN ROTHE: Das war gewiss ein Anlass. Ich wollte der Frage nachgehen, wie es nach der Revolution in Russland weiterging und hatte aber auch den Wunsch, mich mit einem deutschen Thema auseinanderzusetzen.  Ich habe mich auf die Suche gemacht nach einer Künstlerpersönlichkeit, zu der so eine Collagen- und Animationstechnik, die ich auch in 1917 geschaffen habe, passen würde. Mit John Heartfield hatte ich eine unglaubliche Lebensgeschichte, einen politischen Künstler und Trickfilmer, der frisch und unkonventionell die Genres gemixt hat und bis ins hohe Alter eine große Schaffens- und Gestaltungsfreude hatte. Ein Volltreffer. Diese Gestaltungsfreude war es auch, die ich mir selbst als Headline für diesen Film vorgenommen habe und von der ich mir wünsche, dass sie sich auch aufs Publikum überträgt, dass jemand nach Hause geht und sich sagt, „Jetzt schneide ich auch mal was aus.“

 

In 1917 – der wahre Oktober lassen Sie Künstler zu Wort kommen, die Zeugen dieses historischen Moments waren, womit eine Perspektive auf die Oktoberrevolution abseits der Geschichtsbücher gegeben ist. Geht es Ihnen ganz allgemein in Ihren Arbeiten darum, ungewohnte Perspektiven auf Geschichtsschreibung und Geschichtserzählung zu entdecken?

KATRIN ROTHE: Es ist nie mein vordergründiger Ansatz, eine „andere“ Perspektive hervorzubringen. Bei Heartfield war es ganz einfach so, dass ich Widersprüche entdeckt habe. Es gab bestimmte Geschichtsschreibungen und -abschreibungen und es hat sich nicht so wirklich zu einem Bild zusammengefügt. In dem Moment, wo ich diesen Menschen lebendig werden lasse, muss ich wissen, was für ein Mensch er war. Das hat mich angespornt, tiefer zu recherchieren und es freut eher, festzustellen, dass zur Zeit Publikationen erscheinen, die ähnlich auf diese Epoche blicken, ob sie nun auf die dreißiger Jahre oder die fünfziger Jahre des Kalten Kriegs schauen; da sehe ich mich eingebettet, vielleicht nicht in eine neue Generation, aber in eine neue Art von Werken, die sich die Geschichte nochmals anschaut. Viele interessieren sich gerade für die zwanziger Jahre, weil man Parallelen zur jetzigen Zeit entdeckt und sich fragt, ob man vielleicht etwas lernen kann. An Heartfields Künstlerleben kann man auch sehen, dass es sich lohnt, Widerstand zu leisten, sich selbst treu zu bleiben und aufrecht durchs Leben zu gehen und nicht immer die vermeintliche Massenmeinung zu vertreten. Mein Film zeigt, was es bedeutet in einer Diktatur zu leben, wie sie mit Kunst umgeht, wie sie Satire bewertet. Kunst sollte immer sinnvoll sein und es gilt ein sehr simpler, oft auch ein bisschen hohl klingender Satz, der aber eine sehr tiefe und große Bedeutung hat: die Kunst muss frei sein.

 

Interview: Karin Schiefer

Jänner 2022