Im Gespräch mit Pia Hierzegger
„Es war mir wichtig, eine Geschichte über Frauen um die 50 zu schreiben.“
Astrid, Elli und Isabella waren schon gute Freundinnen, da wohnten sie noch zusammen in einer WG und wussten nicht wirklich, welche Wege sie einschlagen würden. Jetzt sind alle drei um die 50 und jede steckt in einem Leben voller Routinen. Eine davon teilen sie sogar: Es ist die obligate gemeinsame Urlaubsfahrt – jedes Jahr an denselben Ort. Pia Hierzegger schickt in ihrem Regiedebüt ALTWEIBERSOMMER ihre drei Heldinnen zunächst mal an ihren altbewährten, feuchtkalten Campingplatz, nicht nur, um die Festigkeit der Freundschaft auszureizen.
ALTWEIBERSOMMER ist Ihr erstes Filmprojekt, für das Sie nicht nur das Drehbuch geschrieben haben, sondern bei dem Sie auch Regie führen werden. Sie erzählen von drei Frauen um die fünfzig, bei weitem keine „alten Weiber“. Ist es dennoch so, dass sie die Lebensmitte mit Fragen des Älterwerdens konfrontiert und diese ein Anstoß für die Geschichte waren?
PIA HIERZEGGER: Es geht in ALTWEIBERSOMMER um ein Alter, wo man sozusagen „heraußen“ ist. Man macht sich entweder keine Gedanken mehr, ob man Kinder haben will oder nicht, oder die Familienplanung ist abgeschlossen. Es bahnt sich ein neuer Lebensabschnitt an. Den drei Frauen in meiner Erzählung ist das aber noch nicht bewusst. Sie leben und agieren in ihrer Routine und leben ihr Leben mit der Auffassung, es bleibt eh alles wie es war. So wie der Altweibersommer das „Vorletzte“ im Jahr ist, so beginnt auch für meine Protagonistinnen ein vorletzter Abschnitt in ihrem Leben. Damit beschäftigt sich der Film, ihre Lebensroutinen werden im Laufe der Geschichte gebrochen.
Sie haben große Erfahrung als Schauspielerin und Autorin für Bühne und Film. Was hat Sie gereizt, dieses Mal auch die Regie zu übernehmen?
PIA HIERZEGGER: Als ich mit meinem Buch zur Film AG gekommen bin, war es noch gar nicht sicher, dass ich auch die Regie übernehmen würde. Irgendwann meinten Johanna Scherz und Alex Glehr dann, dass das Drehbuch so sehr meine Handschrift trägt, dass es eigentlich naheliegend sei, dass ich auch Regie führe. So hat sich die Idee langsam konkretisiert. Es war nicht so, dass ich mir seit Jahren gesagt habe, dass ich unbedingt auch mal Regie führen möchte, aber jetzt kann ich sagen, dass es sehr herausfordernd und sehr spannend ist. Ich würde allen Schauspieler*innen empfehlen, einmal den ganzen Entstehungsprozess eines Drehs mitzuverfolgen, weil man dabei lernt, wo überall man als Darsteller*in nicht einbezogen ist, was alles vor Drehstart schon erarbeitet und gedacht worden ist, wie riesig das Team ist, wie viele Leute an so einem Projekt mitarbeiten und welche Verantwortung man nicht nur als Regisseurin, sondern auch als Teammitglied hat. Zum Glück bin ich vom Theater im Bahnhof das Arbeiten im Team gewohnt. Es ist jedenfalls sehr wertvoll, mit so vielen Profis zusammenarbeiten zu können.
Was war in dieser Drehvorbereitung von ALTWEIBERSOMMER eine dieser wichtigen, vielleicht auch überraschenden Entdeckungen?
PIA HIERZEGGER: Bisher war ich mit dem Drehbuch oder durchs Schauspiel in Filmprojekte involviert. Es ist eine tolle Erfahrung, mit all diesem Wissen in den Dreh zu gehen. Es hat mich beeindruckt, wie eng die Verbindung zwischen Szenenbild, Kamera, Regieassistenz und Regie ist. Es war mir schon bisher klar, wie stark die Auswirkung von Faktoren wie Sperrtagen oder Motiven, die nur ab bestimmten Tagen verfügbar sind, ist, aber dass Szenen wegen des Sonnenstands nur zu bestimmten Uhrzeiten gedreht werden können, weiß ich jetzt erst. Es war mir nicht so sehr bewusst, welch komplexe Maschinerie da ineinandergreifen muss.
Die drei Frauen sind seit Studienzeiten Freundinnen und haben eine WG miteinander geteilt. In ALTWEIBERSOMMER brechen sie zu ihrem gemeinsamen Urlaub auf – auch eine lange gepflegte Routine. Es vereint sich in dieser Reise eine Sehnsucht nach „so wie es früher war“ mit einer Sehnsucht nach anderswo. Es klingt nach einem Wunsch, weder im Hier noch im Jetzt zu sein. Wo stehen die drei Frauen in ihrem jeweiligen Leben?
PIA HIERZEGGER: Ich glaube gar nicht, dass ihnen dieses Bedürfnis nach Weg-Sein so stark bewusst ist. Dieser gemeinsame Urlaub, den sie jedes Jahr unternehmen, ist eine jährliche Routine wie für andere Leute Weihnachten. Ihre Freundschaft ist mit einer Familiensituation vergleichbar. Sie mögen sich, aber sie sind sich gar nicht wirklich bewusst, wie gern sie sich haben und wie sehr sie sich aufeinander verlassen können. Und natürlich gehen sie einander auch auf die Nerven. Wenn man sich so lange kennt, dann gibt es immer auch Dinge, die einen nerven. Ich habe gestern mit einer Kollegin meine Rolle durchgearbeitet und dabei haben wir auch den Punkt thematisiert, dass sich die drei gar nicht so sehr auf diesen gemeinsamen Urlaub freuen, weil er mit einer Regelmäßigkeit kommt wie Weihnachten. Trotzdem wird ihnen im Laufe der Zeit bewusst, wieviel ihnen abgehen würde, wenn sie diese gemeinsame Reise nicht machen würden und dass sie einen Umgang miteinander haben, den sie sonst mit niemandem haben.
Wie kann man die drei Frauen kurz charakterisieren?
PIA HIERZEGGER: Die treibende Kraft ist Astrid. Sie ist eine praktisch veranlagte Frau, die gerne organisiert, gerne für andere mitdenkt, aber auch zu wissen glaubt, was das Beste für alle ist. Sie ist auch diejenige, die noch immer in einem Familienverband mit Kindern lebt. Sie schaut darauf, dass das System am Laufen bleibt. Isabella verkörpert genau das Gegenteil. Sie ist alleinstehend, fällt selbst in ihrem Alter noch immer auf verheiratete Männer rein oder lebt gerade in einer unglücklichen Liebesbeziehung, von der sie annimmt, dass dies das im Moment größte Problem der Welt ist. Sie ist jemand, die nicht gewohnt ist, für andere mitzudenken und mal zu schauen, wie es den anderen geht. Ohne böse Absicht ist sie es einfach gewohnt, darauf zu schauen, dass es ihr selber gut geht. Elli erlebt als einzige gerade eine Ausnahmesituation. Sie ist an Krebs erkrankt und hat soeben eine Chemotherapie hinter sich, Bestrahlung und Hormonbehandlung vor sich. Der gemeinsame Urlaub fällt nun in diese Heilungsphase, von der man nicht weiß, wie sie ausgehen wird; Elli fährt mit, ist aber mit ganz anderen Dingen beschäftigt und hat gerade keinen Zugriff zu ihren Gefühlen, weil sie von ihrer Krankheit überfordert ist.
Die Reise führt zum geplanten Aufenthalt, einem (leider verregneten) Campingplatz in Österreich und zu einem ungeplanten – in ein Luxushotel in Venedig. Für mich ist der Eindruck entstanden, eigentlich passen die drei weder da noch dort so richtig hin. Was wiederum ein guter Hintergrund für eine Komödie ist.
PIA HIERZEGGER: Beim Campingplatz haben die drei schon das Gefühl hinzupassen, weil sie immer hingepasst haben. Sie haben einfach übersehen, dass sie älter geworden sind und erkennen etwas spät, dass es vielleicht nicht mehr so lustig ist, wenn man bei Kälte und Regen im Wohnwagen auf engem Raum zusammensteckt. Das soll jetzt nicht heißen, dass man in diesem Alter nicht mehr campen gehen kann. Aber so, wie sie es praktizieren, ist es die Reproduktion einer Reise, die sie als junge Frauen gemacht haben und seitdem immer wiederholen. Alles hat sich inzwischen verändert, nur ihre Art des Reisens nicht. Der Aufenthalt im Luxushotel fühlt sich wie etwas an, von dem man immer geträumt hat und wie etwas, das alles in Ordnung bringen kann. In Wirklichkeit wird aber dadurch, dass man irgendwohin flüchtet, gar nichts gut. Aber das Prinzip „fish out of water“ ist etwas, das immer lustig sein kann. Es ist mir sehr wichtig, dass es auch ein lustiger Film wird. Es wird gewiss keine Schenkelklopfer-Komödie. Aber ich finde, immer dann, wenn man Menschen beim Scheitern zuschaut, ist es irgendwie auch ein bisschen lustig.
Eine Figur verkörpern Sie selbst. Mit wem werden Sie für die beiden anderen Parts arbeiten?
PIA HIERZEGGER: Die Rolle der Astrid ist mit Ursula Strauss besetzt, die der Isabella mit Diana Amft. Rita Wasilovics, mit der ich das Casting gemacht habe, hat mir Ursula Strauss als erstes vorgeschlagen. Die Idee gefiel mir gut und wir haben dann sehr bald Diana Amft dazu gecastet, weil wir drei grundverschiedene Frauentypen haben wollten. Als wir im Rahmen des Castings einige Szenen durchprobiert haben, war es schon sehr lustig und wir hatten das Gefühl, dass wir einander gut zuhören und dass unsere Art zu spielen gut zusammenpasst. Damit war die Entscheidung gefallen. Allerdings war das vor eineinhalb Jahren. Dass Ursula und Diana sich die Zeit für diesen Dreh, der im September beginnt, ungeachtet anderer Angebote reserviert haben, das ist sehr schön.
Haben Sie beim Drehbuchschreiben bereits mitgedacht, welche Rolle Sie selber spielen würden?
PIA HIERZEGGER: Ich habe sehr lange an diesem Drehbuch geschrieben. Die Figuren sind mit mir älter geworden. Das hatte auch den Grund, dass ich bisher Drehbücher geschrieben habe, wo von Anfang an eine Produktionsfirma oder ein Sender dabei waren. Bei diesen Projekten gibt es Abgabe- und Abnahmetermine, die den Prozess begleiten. Anders war es bei diesem Buch, das ich ganz frei geschrieben habe. Ich musste sehr viel selbst entscheiden, man muss sich Feedback auf andere Weise einholen, man geht viele Kurven aus, wenn man so „ins Blaue“ schreibt und man arbeitet auch nur daran, wenn man wirklich Zeit hat. Für mich war zu Beginn nicht so eindeutig, wen ich spielen würde. Es war nur relativ klar, dass ich nicht Isabella spielen werde. Es hat sich auch die Perspektive der Figuren verschoben. Anfangs sah ich eher in Elli die Figur, mit der man durch den Film geht. Dann ist es zu Astrid übergesprungen, weil ich den Eindruck hatte, dass sie der aktivere Part war. Irgendwann war es logisch, dass Astrid mit ihrer Art sich wichtig zu machen, in den Vordergrund tritt, während Elli sehr mit sich und ihrer Krankheit beschäftigt war. Es gab immer wieder Baustellen. Ich kann jetzt nicht mehr sagen, ob ich immer vorhatte, mitzuspielen. Jedenfalls eher mitzuspielen als Regie zu führen. Als Darstellerin schwankte ich eine Weile zwischen Astrid und Elli. Nun spiele ich die Elli und das ist gut so.
Die Männerrollen sind eher wenig sichtbar: Steckt da auch der Gedanke dahinter, mit der Konstellation in ALTERWEIBERSOMMER gängige Muster, die für Frauen oft nur eine marginale Rolle vorsehen, umzukehren?
PIA HIERZEGGER: Das war nicht intendiert. Da ALTWEIBERSOMMER eine „Roadmovie für Arme“ ist, begegnen die drei Frauen den Männern im Film wie Stationen, an denen sie vorbeifahren. Dass diese drei Frauen und ihre Freundschaft im Vordergrund stehen, war von Beginn an klar. Es war mir wichtig, eine Geschichte über Frauen um die 50 zu schreiben, weil es das nicht so oft gibt. Es stimmt, dass die Männer deutlich kleinere Rollen haben, es gab aber meinerseits ein starkes Bemühen, keine Klischees darzustellen. Wir hatten Leseproben, ich habe mit allen Darstellern Einzelgespräche geführt, wo wir die Figur näher besprochen haben. Mein Eindruck war, dass sie alle große Lust haben, diese Figuren zu spielen. Mir war es bei jeder Figur ein Anliegen – das gelingt nicht bei jeder Figur gleich –, dass auch die Männer alle eine Geschichte und Momente haben, die deutlich machen, dass sie nicht so sind, wie man es dem ersten Eindruck gemäß vermutet hätte. Bei jedem gibt es eine Idee, warum man sich an ihn erinnern wird. Das hoffe ich jedenfalls.
Sie haben als Schauspielerin mit österreichischen Regisseur*innen wie Michael Glawogger, Marie Kreutzer, Johanna Moder, Peter Hengl, Josef Hader, Eva Spreitzhofer und Clara Stern gearbeitet. Was haben Sie an positiver Erfahrung für Ihr eignes Set mitgenommen, gerade da Sie auch eine der Rollen spielen werden?
PIA HIERZEGGER: In den letzten zwei, drei Jahren, als ich schon wusste, dass auch der Regie-Part auf mich zukommen wird, habe ich nicht nur meine Kolleg*innen sehr bewusst bei der Arbeit beobachtet, sondern habe auch Leute gefragt, welchen Fehler ich nicht mehr machen muss. Von den meisten kam die Antwort, dass man sich auf die Teammitglieder, die meist eine große Erfahrung mitbringen, verlassen soll. Klemens Hufnagl hat schon für so viele Filme die Kamera gemacht. Warum sollte ich ihm Dinge erklären, die er sicher besser kann? Wir haben natürlich sehr ausführliche Besprechungen und arbeiten an der Auflösung. Er hat die Expertise, wie meine inhaltlichen Prioritäten visuell und technisch am besten umzusetzen sind und bringt seine Ideen ein. Ähnlich ist es bei Kostüm, Maske, Szenenbild. Alle denken mit. Alle erzählen ihren eigenen Film noch einmal. So wie ich es auch als Schauspielerin erlebe. Wenn ich mich lange und intensiv mit der Figur, die ich darstelle, auseinandergesetzt habe, dann weiß ich irgendwann mehr über sie, als die Person, die sie erfunden hat. Durch die Beschäftigung damit entsteht meine eigene Figur. Der Ratschlag, den ich von den meisten Kolleg*innen bekommen habe, war der, mich auf dieses große funktionierende Team zu verlassen. Von Marie Kreutzer bekommt man als Schauspieler*in vor einer Szene einen Zettel, wo drauf steht, was in einer Szene wichtig ist. Mir hat das für die schauspielerische Arbeit sehr gut getan. Ich will aber auch keine Arbeitsweise kopieren. Was ich weiß, ist, dass das System mir manchmal Entscheidungen abverlangen wird, es verlangt aber nicht, dass ich jemanden anschreie oder unfreundlich bin. Das kann ich auch als einen sehr positiven Aspekt in meiner Erfahrung mit so vielen verschiedenen Regisseur*innen hervorheben, dass die Atmosphäre am Set fast immer sehr kollegial war.
Worauf freuen Sie sich, die Dreharbeiten auch als Regisseurin zu bestimmen?
PIA HIERZEGGER: Ich mag den Prozess, dass ich nun schon alle Drehorte kenne, dass ich nun auch weiß, wie wir die Szenen auflösen werden und die Geschichte Schritt für Schritt immer mehr zu einem Film wird. Zu sehen, wie die Kolleg*innen ihren Part spielen werden. Sonst habe ich zurzeit (Anm. ca. drei Wochen vor Drehstart) wenig Zeit, mir über die Zeit am Set viele Gedanken zu machen. Ich bin froh, dass ich mich noch nicht fürchte.
Was gäbe es zu fürchten?
PIA HIERZEGGER: Den Stress. Zeit ist immer knapp. Es hat natürlich mit knappen Budgets zu tun, dass zu wenig Zeit ist. Dieses Bewusstsein ist immer da und man spürt auch einen Druck, ob sich alles ausgehen wird. Es hängt ja nicht nur von den Menschen, es hängt ja auch vom Wetter oder anderen äußeren Faktoren ab. Davor fürchte ich mich jetzt doch ein bisschen. Das muss man akzeptieren.
Interview: Karin Schiefer
September 2023