© Evi Romen

 

„Man hatte tatsächlich das Gefühl, dass man auch aus der tiefsten Provinz durchstarten könne.“

 

Helen musste als junge Erwachsene einfach raus. Weg vom Dorf an der Donau, auf nach London, wo sich der talentierten Musikerin eine Welt voll Perspektiven eröffnet hat. 25 Jahre und ein paar magere Erfolge später kehrt sie zurück und hofft, im alten Zuhause einen Ort des Geschützt-Seins zu finden. Evi Romen erzählt in ihrem zweiten Spielfilm HAPPYLAND von einer Rückkehr ins Dorf, das nichts vergessen und auch nichts verziehen hat.

 

In Ihrem neuen Film HAPPYLAND treffen zwei Welten und auch zwei Zeiten – die Jugendjahre und die Jetztzeit – Ihrer Protagonistin Helen aufeinander. Was alles zusammenhält, scheint die Musik zu sein. War die Musik vielleicht grundsätzlich ein Ausgangspunkt für Ihren zweiten Spielfilm? Welche Rolle sollte die Musik spielen?

EVI ROMEN: Es ging mir nicht vordergründig darum, einen Musikfilm zu machen, sondern um das Lebensgefühl von Musiker*innen einer gewissen Generation – meiner Generation. Ich kenne selbst einige Musiker*innen, die fast durchgestartet wären. Und das ist auch das Schicksal meiner Hauptfigur: Sie ist leider nur fast durchgestartet, jetzt mit Ende vierzig kann sie nicht gerade auf große Erfolge verweisen, vielmehr kann sie auf viel Verzicht, aber auch auf viel Party und Aufregung in ihrem Leben zurückblicken. Meine ursprüngliche Idee war, einen Film über eine Musikerin gänzlich ohne Musik zu machen, nur anzudeuten, was sie gemacht hat, bevor sie ihre niederösterreichische Heimat Richtung London verlassen hat. Es ist jedoch immer wieder das Bedürfnis aufgepoppt, etwas mit Musik zu hören oder zu spüren. Ich hatte mir eher einen Soundteppich aus verschiedensten Elementen vorgestellt, wie man sie von einem Soundcheck kennt, z.B. ein Riff von einer E-Gitarre oder ähnliche Elemente. Es hat sich dann herausgestellt, dass wir, um eine Probe zu erzählen, auch einen Song dafür brauchen. Es gibt eine Begräbnisszene, auch dafür war eine Musik notwendig. Stück für Stück haben sich verschiedene Elemente und Stilrichtungen zusammengebaut, die das Leben der Musiker*innen reflektieren. Es funktioniert ein bisschen fragmentarisch mit verschiedenen musikalischen Facetten.

 

Ihre Protagonistin Helen(e) ist Mitte/Ende vierzig. Ihre Lebensbilanz schaut, was Karriere und Familie betrifft, nicht recht strahlend aus. Steht Helen auch für eine Generation, die in den neunziger Jahren eine junge Erwachsene war, als mit der aufkommenden Globalisierung ein Gefühl der unbegrenzten Möglichkeiten herrschte und die nun, im 21. Jh. angekommen, eine Ernüchterung erlebt?

EVI ROMEN: HAPPYLAND ist definitiv auch das Portrait einer Generation. Interessanterweise haben sich viele unter den Darsteller*innen – es spielen ja einige Musiker- oder Musiker/Schauspieler*innen mit – sofort in diesem Lebensgefühl ausgekannt und gewusst, wovon ich spreche. Tatsächlich habe ich das selbst erlebt. Ich habe alles aber um rund zehn Jahre näher zur Jetztzeit verschoben, nicht zuletzt, weil ich das Gefühl hatte, dass Mitte vierzig das passendere Alter für meine Protagonistin war. Mitte vierzig kommen die ersten großen Gedankeneinbrüche. Mitte fünfzig hat man oft schon etwas anderes gefunden. Selbst Mitte fünfzig, habe ich aus meiner Haltung und der Perspektive meiner Generation erzählt, die in der Tat eine unbegrenztere Realität erlebt hat, als es die heute Zwanzig-Jährigen erleben. Man hatte tatsächlich das Gefühl, dass man auch aus der tiefsten Provinz durchstarten könne und es wurde einem tatsächlich mit Major-Label-Verträgen gewunken. Das Gefühl, eine Entdeckung und etwas Besonders zu sein, herrschte damals viel stärker vor als heute, wo es so viel einfacher geworden ist, Musik zu produzieren und sie auch breit zu streuen. Man war früher froh, wenn man genügend Geld zusammengekratzt hat, um eine CD oder eine Platte zu produzieren, da war keine Rede davon, sich einen Booker zu leisten. Es geht um ein Gefühl, das man in Österreich am ehesten mit Naked Lunch in den frühen Neunzigern vergleichen kann – Oliver Welter spielt übrigens auch mit, nicht als Musiker, sondern als jemand, der das Gefühl kennt, dass man groß, aber nie so ganz groß wurde.

 

Ist auch Autobiografisches in die Erzählung eingeflossen?

EVI ROMEN: Das tut es bei mir immer. Ich glaube, dass jede*r Künstler*in, die*der behauptet, nicht autobiografisch zu arbeiten, nicht ehrlich zu sich selbst ist. Egal wie abstrakt man etwas erzählt, es wird immer etwas mit einem selbst zu tun haben. Ich scheue mich auch nicht davor. Es war auch in meinem ersten Film Hochwald viel von mir drinnen. Ich bin alt genug, um zu meinen Gedanken und Befindlichkeiten, die aus persönlichen Motiven entstehen, zu stehen. Jünger hat man vielleicht Zweifel, ob ein Gedanke groß oder gut genug ist. Ich kenne auch das Gefühl, als Musikerin nicht ganz groß geworden zu sein. Ich hätte Konzertpianistin werden sollen, merkte aber schnell, dass daraus nichts werden würde, weniger des Talents, sondern des vielen Übens wegen. Täglich mehrere Stunden zu sitzen und zu üben, war für mich als junger Mensch definitiv kein erstrebenswertes Lebensgefühl. Als Editorin hat mir später meine musikalische Begabung sehr geholfen und ich habe meine musikalische Leidenschaft später nicht in der klassischen Musik ausgelebt, sondern als DJane; ich habe auch ein Label zusammen mit meinem damaligen Partner gegründet, mit dem wir versucht haben, so manche Band groß zu machen. Ist uns natürlich auch nie gelungen. Viel von dem Geld, das ich in diesen Jahren als Editorin verdient habe, ist in dieses Label geflossen. Ich habe aus dieser Zeit schöne und gute Erinnerungen. Das Scheitern ist ja nichts Schlechtes. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Der Gewinn ist nicht unbedingt der Erfolg, sondern vielmehr die gemachte Erfahrung. Es wurde also nichts aus meiner DJane-Karriere. War aber ganz egal, weil ich mich ja sowieso mehr für Film interessiert habe. Ich kenne einige, die es damals versucht haben, Frauen hatten es doppelt schwierig. Bei einer Sängerin wie Helen in HAPPYLAND, die ohne Band einen Major-Label-Vertrag angeboten bekommt, war völlig klar, dass sie entweder verheizt oder fallen gelassen wird, wenn sie ihre eigenen Sachen machen will. Meine Protagonistin Helen war ein junges, punkiges Revoluzzer-Mädchen, das gedacht hatte, die Welt erobern zu können. Heute würde sie mit ihrer Art viel eher durchstarten als damals. Große Frauen kamen eher in den 1970er und 80er Jahren raus. Die neunziger Jahre waren sehr männerlastig.

 

Ihren ersten Film Hochwald haben Sie in einem in den Bergen gelegenen Dorf angesiedelt. HAPPYLAND spielt am Wasser, an einem Fluss. Welche Möglichkeiten bietet der Fluss als die prägende Landschaft einer Erzählung?

EVI ROMEN: Der Vergleich mit Hochwald kommt mir sehr gelegen, denn es geht auch in HAPPYLAND um eine Heimkehrer*innen-Geschichte, wenn auch in einer ganz anderen Form. Die Landschaft spielt für mich eine ganz große Rolle. Ich bin in den Bergen aufgewachsen, in Hochwald waren die Berge wichtig wegen der Engstirnigkeit, die in der Geschichte eine große Rolle spielt, und wegen einer Sehnsucht nach Weite. Für HAPPYLAND habe ich einen fiktiven Ort am Fluss gewählt aus dem einfachen Grund, dass der Fluss für die Symbolik von Hingabe, für das Dahintreiben steht, und es fließt da auch sehr viel Dreck einen Fluss – in unserem Fall ist es die Donau – hinunter. Eine Flusslandschaft ist eine sehr raue Landschaft, wenn auch weniger offensichtlich als die Berge. Ein Fluss ist oft viel gefährlicher, weil man nie weiß, woran man ist. Die Berge halte ich für leichter einschätzbar. Wasser ist eine unglaubliche Gewalt. Und kitschig gesagt, symbolisiert der Fluss auch den Fluss des Lebens, dem man sich irgendwann hingibt.

 

Hinter dem Filmtitel verbirgt sich ein Freizeitzentrum, das Helens Mutter leitet und schlecht und recht durchbringt. Warum steht eine Freizeitanlage im Mittelpunkt der Handlung? Wie sehr steht auch die Frage nach dem metaphorischen „Happyland“ im Zentrum?

EVI ROMEN: Meine ersten Gedanken zu einem Film sind meist sehr abstrakt und handeln von Orten, Stoffen, Merkwürdigkeiten in einer Landschaft, Dingen, die nicht zusammenpassen. Mein erster Gedanke ist nie die Geschichte selbst. Bei Hochwald drehten sich die ersten Gedanken um einen Wald. Ähnlich war es bei HAPPYLAND, das von einer gigantischen Sport-Mehrzweckanlage in Klosterneuburg inspiriert ist, die ich durch meine Kinder entdeckt habe.  Mir erschien es ein beklemmender Ort, wo sich alles in Hallen, nur indoor, abspielt. Es hat mich überrascht, dass so ein Ort Happyland heißt, wo es gleich nebenan Auwälder, einen Fluss und Natur gab, was einen bekanntermaßen eher glücklich macht. Ein merkwürdiger Name. Aber es ist ein unglaublich gut besuchtes Sportzentrum, das die Leute offensichtlich beglücken muss. Während der Dreharbeiten dort haben wir locker 1000 Leute am Tag wahrgenommen, die dort die Angebote nutzten. Für mich ist der Ort allein mit seinem trostlosen Entree ein Symbol für etwas auf interessante Weise Widersprüchliches geworden. Es geht in HAPPYLAND auch wieder um Heimat, um die Rückkehr in die Heimat und die Frage, wo man sich zu Hause fühlt. Das Zuhause sollte einen theoretisch ja glücklich machen.

 

Es geht um die Begegnung mit der eigenen Vergangenheit, insbesondere um ein sehr heftiges, unerwartetes Konfrontiert-Werden mit einer Lebensphase, die Helen hinter sich gelassen hat und das mit einer Affäre zwischen einer älteren Frau und einem jungen Mann auf eine dramatische Spitze gelangt. Was hat Sie dazu bewogen?

EVI ROMEN: Ältere Frau/junger Mann war tatsächlich sehr früh ein Motiv, die Frage, die sich dem anschloss und die mich interessiert hat, war: Was sucht man in dieser Konstellation? Ich glaube, dass Frauen etwas anderes suchen als Männer. Männer schmücken sich mit jungen Frauen – das mag jetzt ein Pauschalurteil sein –, aber mein Eindruck ist, dass Männer eher Angst vor der Vergänglichkeit haben und das Pulsieren von jungen Körpern brauchen. Bei Frauen scheint mir das weniger im Vordergrund; wir sind ja diejenigen, die wegen ihrer Falten und Kilos Komplexe haben. Ich glaube aber nicht, dass wir Jugend suchen, um uns jünger zu fühlen, bei Frauen kommt auch Scham ins Spiel. Dazu kam die Frage: Was für Gedanken beschäftigen einen, wenn man nach Hause zurückkehrt? Wenn man wie Helen eine große Jugendliebe zurückgelassen hat, dann möchte man eigentlich dieses Gefühl wiederhaben. In der ersten Buchfassung hatte sie eine Affäre mit dem Sohn ihrer Jugendliebe und es gab am Ende eine sehr brutale Energie. Mein Drehbuch ging durch verschiedenste Entwicklungen, darunter auch das EKRAN Programm. Die erste Frage aller meiner Tutor*innen war immer Why does she shoot? You have to find a reason. In einer Dialogstelle sagt die Jugendliebe zu Helen, als die Affäre thematisiert wird: Er ist mein Sohn. Ein Satz, dem es aber immer an Stärke fehlte. Wir drehten diese Szene beim Workshop und spontan habe ich den Schauspieler aufgefordert zu sagen: Er ist unser Sohn. Und plötzlich waren alle wie gebannt und der Tutor meinte: Now you found a reason. Ich hab‘ das trotz vieler Für- und Widerstimmen behalten, weil es plötzlich auch um Schuld geht, was, wie schon in Hochwald, ein riesiges Thema für mich ist: Was ist Schuld? Warum ist man schuld? Kann man Schuld überhaupt vermeiden? Gibt es etwas wie Vergebung? Schuld wird man nicht mehr los. Helen hat eine große Schuld auf sich geladen und muss sich ihr in einem Moment stellen, in dem sie ohnehin am Sand ist und einen Zufluchtsort braucht. Dass Helen ausgerechnet dort mit einer Schuld konfrontiert wird, von der sie dachte, dass sie nicht mehr vorhanden ist, fand ich ziemlich arg und spannend zu erzählen.

 

Sie haben die EKRAN-Szene in Schwarzweiß gedreht, Ihrem Regiestatement entnimmt man, dass es zur Farbigkeit oder Nicht-Farbigkeit des Films viele Überlegungen gibt. Wie haben Sie nun entschieden?

EVI ROMEN: Diese Frage kann ich noch nicht beantworten. Ich hänge noch am Schwarzweiß, gerade weil Musikfilme meistens bunt und poppig sind. Ob HAPPYLAND in Schwarzweiß auf der Leinwand zu sehen sein wird, ist noch offen. Das muss ich noch mit meinem Produzenten diskutieren. Technisch sind beide Optionen möglich.

 

Ihre Protagonistin Helen wird von Andrea Wenzel dargestellt. Wie sind Sie zu einem Team geworden?

EVI ROMEN: Eher absichtlich unabsichtlich. Für die Szene, die ich im Rahmen von EKRAN gedreht habe, hatte ich nach einem verlebten, aus dem Leim gegangenen Typus gesucht – eine Person, die ausstrahlt, dass ihr das eigene Aussehen egal ist. Inspiriert war ich von einer Jugendfreundin, die immer wahnsinnig schön und dünn war. Wenn man in der Jugend einen Körper hat, in dem man sich gut fühlt, dann merkt man oft gar nicht, dass man auseinander geht. Sie hat mir erzählt, dass es ihr nie aufgefallen war, weil sie nicht mal einen großen Spiegel zu Hause hatte. So eine Person hab‘ ich gesucht, die sich einfach größere Klamotten kauft und für die damit das Thema schon wieder erledigt ist. Es ist mir interessanterweise nicht gelungen. Ich war überrascht, wie durchtrainiert, wie diszipliniert, wie kontrolliert Frauen Mitte vierzig sind. Kurz habe ich überlegt, den Altersunterschied zwischen der Frau und dem jungen Mann eher zwischen Mitte fünfzig und dreißig anzulegen. Es gab zwei Kategorien Frauen: entweder die ganz mütterlichen oder die ehrgeizigen, kontrollierteren, die dann auch in ihrem Aussehen so jung bleiben. Wie eben Andrea Wenzel. Ich hatte sie vom Typus her anfangs nicht in Betracht gezogen, aber Eva Roth, die Casterin, hat sie eingeladen und mir ist bewusst geworden, dass ich umdenken musste, wenn ich meine Hauptfigur in einer Generation verankern wollte, die eher das ewige Teenager-Sein bedient und da wollte ich mich vor allem für eine sehr gute Schauspielerin entscheiden.

 

Gehen Sie mit einem guten Gefühl in den Schnitt?

EVI ROMEN: Das kann ich so nicht sagen. Ich tendiere während des Drehs zur Unzufriedenheit und eine Rest-Unzufriedenheit bleibt. Umso mehr freue ich mich auf den Schnitt, weil ich weiß, was das kann. Ich kann mir vorstellen, dass Karina Ressler Momente, die ich als nicht so glücklich abgespeichert habe, längst gelöst hat.

 

Interview: Karin Schiefer

Oktober 2023