© Hubertus Hohenlohe

 

Mein Vater ist eine Persönlichkeit, die alles und auch wieder sein Gegenteil ist.

 

Eigentlich wollte Lila Morgan einen Film über ihren Vater, Karl Schwarzenberg, machen. Nie gestellte Fragen stellen, zuhören, gehört werden, zu verstehen versuchen, Versäumtes nachholen. Mikrofon und Kamera sollten dabei nur auf jenen Mann gerichtet sein, dessen politische Laufbahn und Familiengeschichte vielen bekannt ist. Bald stellte sich aber heraus, dass es für diese familiäre Begegnung eines Kamerablicks in beide Richtungen bedurfte. Lila Morgan und Lukas Sturm lassen nun in MEIN VATER DER FÜRST einen Film mit einem Vater, mit einer Tochter und über eine späte Annäherung entstehen.

 

MEIN VATER DER FÜRST hat als Filmprojekt über Ihren Vater, Karl Schwarzenberg, begonnen und sich im Laufe der Arbeit daran inhaltlich weiter entwickelt. In welche Richtung?

LILA MORGAN: Der erste Schritt zu diesem Filmprojekt war ein Probeinterview zwischen meinem Vater und mir, bei dem wir testen wollten, ob in diesem Gespräch auch eine Energie entsteht. Wir haben ein mehr als fünfstündiges Gespräch aufgenommen und einige sehr berührende Momente darin gefunden, die uns bestärkt haben, das Projekt weiterzuverfolgen. Meine ursprüngliche Idee wäre gewesen, einen Film über meinen Vater zu machen, wo ich kaum zu sehen bin und es nur um ihn gehen sollte. Die weiteren Interviews, die wir mit ihm an Orten, die für ihn wichtig waren, gedreht und zu einem ersten Rohschnitt zusammengefügt haben, haben uns aber klar gemacht, dass der Film mehr von mir brauchen würde und es unerlässlich war, dass auch ich in den Fokus rücke. So entschieden wir dann, auch ein langes Interview nur mit mir allein zu drehen.

 

Aus wie vielen Interview-Ebenen setzt sich nun das aktuelle Konzept zusammen?

LUKAS STURM: Wir begannen mit der Ursprungsidee: Lila interviewt ihren Vater. Dann standen wir vor der Frage: Wie können wir diesen ersten Ansatz zu einem Dialog machen bzw. wie können wir Lilas Aspekt in die Geschichte ihres Vaters hineinverweben? Ich habe schon zwei Dialog-Filme realisiert, einen mit Harald Schmidt und Gert Voss (Scheitern, Scheitern, besser Scheitern) und den anderen mit Eric Pleskow und Ari Rath (Die Porzellangassenbuben). Ich hatte dann die Idee, Lila allein zu interviewen und zwar vor einem schwarzen Hintergrund, wo es wirklich nur sie allein gibt. Auch da haben wir an die fünf, sechs Stunden gedreht und ich habe Lila gemäß der Filmidee, die wir im Kopf hatten, befragt. Das war die zweite Ebene, die eine Art Einordnung der ganzen Geschichte ermöglicht hat. Bei der dritten Ebene sind wir zum Teil noch am Planen, zum Teil haben wir dafür schon gedreht. Dabei geht es um die Frage, wie wir Lilas Perspektive nochmals in eine Art Geschichte verweben können, in der sie in einem Kommentar noch einmal etwas von sich erzählt. Daran arbeiten wir gerade.

 

Ein Satz hat mich beim Lesen des Drehkonzepts besonders frappiert: Ein/e Schwarzenberg ist man nie allein. Es liegt der Schluss nahe, dass das Öffentliche in Ihrer beider Leben ein konstituierendes Element darstellt, woran sich nun mehrere Fragen knüpfen: War das Medium Film im buchstäblichen Sinn auch ein Medium, um über den Weg des Öffentlich-Machens an den Privatmenschen in Ihrem Vater heranzukommen?

LILA MORGAN: Für mich sicherlich. Ich habe mit meinem Vater nie davor so ausführlich geredet wie im Prozess dieses Filmes. Die Präsenz einer Kamera hat uns beiden sehr geholfen. Natürlich haben wir öfter ernste Gespräche geführt. Aber der leichte Gesprächskontakt, so etwas wie „Ich ruf jetzt einfach meinen Vater an“, das hat es nicht gegeben. Die Kamera hat mir auch geholfen, mich mehr zu trauen, mehr in die Tiefe zu gehen, weil ich mich ein bisschen hinter der Kamera verstecken konnte. Und ich glaube, er hat es sehr geschätzt, dass ich mich in dieser Phase seines Lebens für ihn interessiert habe. Er war auch in einem Lebensabschnitt, wo er mehr Zeit hatte. Ich habe diese Zusammenarbeit  –  und ich glaube so versteht auch er es – als eine Art Geschenk von ihm an mich gesehen. Er hat mir oft ein Gefühl gegeben von „So Vieles ist versäumt worden, aber das gebe ich dir jetzt“. Wir haben das nicht explizit angesprochen, aber ich glaube, dass es auch von seiner Seite so verstanden war. Wir haben uns auf beiden Seiten sehr wohl gefühlt, teilweise sehr intime Dinge im Beisein einer Kamera zu besprechen, die es uns irgendwie leichter gemacht hat.

 

Umgekehrt hat Ihr Vater als öffentliche Person und ehemaliger Politiker den Umgang mit der Kamera gewiss auf professionelle Weise beherrscht und verstanden, sie in seinem Sinne zu nutzen. Wie schwierig war es für Sie, das „Andere“ in Ihrem Vater zum Schwingen zu bringen, ihn als Regisseurin in Ihre Richtung zu lenken?

LILA MORGAN: Das war sehr schwierig. Er ist natürlich ein Profi. Wir haben Stunden über Stunden an Material, das zeigt, wie er zunächst in gewohnte Antworten fällt, die er schon hundertmal gegeben hat. Da fühlt er sich sicher. Ihn da wegzubekommen, war oft sehr schwierig. Oft ist es vorgekommen, wenn Lukas und ich Footage gesichtet haben, dass ich mich fragte: „Warum habe ich da nicht sofort darauf reagiert? Warum habe ich ihn da reingelassen?“ Als Tochter hat man es da noch einmal schwerer, ein Profi würde da überall nachhaken.

LUKAS STURM: Das wäre aber dann ein anderer Film gewesen. Es wäre dann ein journalistischer Film geworden und nicht der Film seiner Tochter über ihn. Ich kann aber nur bestätigen, was Lila zuvor gesagt hat. Ich war überrascht, wie wichtig die Kamera war, damit Vater und Tochter in Verbindung treten können. Oft verstummen die Menschen, wenn die Kamera läuft, bei uns bringt sie Lila und ihren Vater zum Reden. Das ist sehr ungewöhnlich. Im Schnitt war es so, dass wir die Unmengen an Material auf Sachen durchsucht haben, die an den Randzonen des Gesprächs passiert sind. Szenen, die wir vor dem Gespräch aufgenommen hatten, Momente, wo sich der Vater nicht gefilmt gefühlt hat, wo Lila nicht wusste, dass wir drehen. Oft waren es Gespräche, wo beide nicht gemerkt hatten, dass die Aufnahme lief. Wir haben versucht, authentische Momente einzufangen, die oft viel mehr erzählen als der gelungene Satz oder die richtige Antwort.

 

Eine zweite Passage, die vor allem hier im Kontext dieser Publikation sehr interessant ist, ist Ihre Feststellung, dass man als Frau und Tochter in einer so traditionellen Familie einen zugewiesenen Platz hat, dem man sich nicht entziehen kann. Was wollten Sie da mit diesem Film auch hinterfragen und vielleicht auch einfordern?

LILA MORGAN: Aus so einer Familie kommend hat man als Tochter einen speziellen Platz. Mein Vater ist eine Persönlichkeit, die alles und auch wieder sein Gegenteil ist. Er ist unglaublich traditionell und konservativ und auf der anderen Seite auch das Gegenteil davon, wahnsinnig unkonventionell und modern denkend. Ich wollte hinterfragen, warum das alte System für ihn noch immer so wichtig ist. Warum Söhne in gewisser Weise mehr zählen – ich spreche das auch im Film an – das hat nichts mit Liebe zu tun, sondern mit der zugewiesenen Position. Ich wollte gewisse Entscheidungen, die er getroffen hat, hinterfragen. Das ist mir teilweise gelungen, teilweise auch nicht. Da hat manchmal meine Angst mitgespielt, noch einmal nachzufragen. Vielleicht wollte ich manchmal die Antwort gar nicht hören. Ich habe ja auch nach einer Erklärung für meine eigenen Lebensentscheidungen gesucht. Ich wollte wissen, woher es kam, dass ich nie einen Bezug zu dem ganzen Eigentum gefühlt habe. Woher kam es, dass mir alles so egal war? Dafür habe ich schon Antworten bekommen und damit auch mich besser verstanden.

 

Auch wenn Sie Ihrem Vater die Fragen gestellt haben, führt das dialogische Prinzip dieses Films ja notwendigerweise zum Sprechen und Zuhören auf beiden Seiten. Wie wichtig war es Ihnen, gehört zu werden?

LILA MORGAN: Es war mir sehr wichtig, und zwar mehr und mehr, je weiter sich der Film entwickelt hat. Gesehen habe ich das erst im Schneideraum, anfangs war mir das viel weniger bewusst. Beim Sichten der Gespräche ist klar geworden, dass hier absolut ein Verlangen meinerseits da war, gehört zu werden.

LUKAS STURM: MEIN VATER DER FÜRST hat sich gewandelt von einem Film über den Vater zu einem Film über die Tochter, die einen Film über den Vater macht. Der Ansatz hat sich stark gedreht. Das sehr lange Gespräch, das wir beide, Lila und ich, geführt haben, hat einen Kippmoment erzeugt, wo Lila alleine war und es keinen Vater gab. Ich halte diesen Film für einen emanzipatorischen Akt. Es steckt sehr viel Arbeit in diesem Film drinnen und wir sind einen langen gemeinsamen Weg gegangen. Das hat schon alles seinen Grund.

LILA MORGAN: In einer früheren Phase habe ich oft gefragt: Warum dauert dieses Projekt so lang? Jetzt im Nachhinein erklärt es sich. Wir haben irgendwie nie ein Ende gespürt, das war seltsam. Der Film hat sich lange nicht ausgetragen angefühlt. Jetzt tut er das. Mein Vater ist in diesen fünf Jahren sehr gealtert. Das bringt schon auch noch eine ganz andere Dimension in den Film, die nicht geplant war und die sehr schön ist.

 

Wie würden Sie diesen Film im Vergleich zu Ihren beiden anderen Dialogfilmen charakterisieren?

LUKAS STURM: Die beiden oben erwähnten Filme waren wirkliche Dialogfilme. Da schrieb das formale Prinzip vor, dass es nur das Gespräch gab. Dazwischen waren nur ein paar informative Tafeln, der Rest war nur Gespräch. MEIN VATER DER FÜRST hingegen hat sich weiterentwickelt zu einem richtigen filmischen Objekt. Dieser Film ist viel mehr als nur ein Gespräch, mit vielen Momenten, wo es darum geht, zu beobachten. Es ist vielmehr eine filmische Erzählung geworden, die von einem Gespräch getragen wird.

 

Stehen noch Dreharbeiten bevor oder ist bereits alles Wesentliche gedreht?

LUKAS STURM: Das Wichtigste ist gedreht. Eine Szene ist sehr interessant, nämlich die, wo Lila zum ersten Mal ihrem Vater den Film zeigt und die Kamera eineinhalb Stunden auf die beiden gerichtet ist. Wir haben in der zweiten Phase nun Mona Willi als Cutterin, nachdem wir In der ersten Phase mit Thomas Vondrak geschnitten haben. Mona Willi kann dem Film in der Schlussphase noch ihre spezielle Handschrift verleihen. Sie beherrscht die Kunst wie kaum ein*e andere*r, das vorliegende Material in großer Leichtigkeit neu zu arrangieren. Die Szenen, die wir mit Lila und ihrem Vater beim Betrachten des Rohschnitts gedreht haben, hat sie über den Film verteilt hineinmontiert. Tochter und Vater sehen sich selbst beim Ringen um ihre Annäherung zu.

 

An welchen Orten haben Sie gedreht?

LILA MORGAN: Der ursprüngliche Plan sah vor, dass wir an allen Orten, die für meinen Vater und auch für meine Familie von Bedeutung waren, drehen würden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man an einem Platz, der mit einer Bedeutung aufgeladen ist, auch anders spricht. Der Ort bringt sich in ein Interview ein. Daher war es mir wichtig, die Plätze der Kindheit meines Vaters aufzusuchen, ebenso wie die Plätze meiner Kindheit. Das erste Interview hat in seinem Haus stattgefunden, das er sich, als er nach Tschechien zurückgekehrt ist, in der Nähe von Prag noch vor der Restitution gekauft hat. Dieses Haus ist jetzt sein Zuhause. Seine Kindheit hat er im Winter im Winterpalais im Prag, im Sommer auf Schloss Orlik verbracht, an diesen beiden Plätzen haben wir ebenfalls gedreht und dann in Wien in der mittlerweile leer stehenden Wohnung im Palais Schwarzenberg. Das war recht eigen, weil diese Wohnung ausgeräumt und eigentlich eine Ruine ist. In Palais selbst haben wir das Gespräch zwischen mir und Lukas gedreht, und im Schloss Murau haben wir auch gefilmt.

 

Was hat für Sie persönlich diese Rückkehr an die Orte der Kindheit bedeutet?

LILA MORGAN: Ich habe gottseidank nicht erleben müssen, was mein Vater erlebt hat, nämlich für viele Jahre nicht an die Orte der Kindheit zurückkehren zu dürfen. Die Orte meiner Kindheit sind weiterhin von meinen Eltern bewohnt. Ich bin es gewohnt, meinen Vater an diesen Plätzen zu sehen, ich habe aber immer wieder Neues über meine Kindheit erfahren, durch die Dinge, die er erzählt hat. Das war wichtig. Er war im Schloss Murau, wo wir als Kinder aufgewachsen sind, ein ganz anderer als in Orlik. Es kamen andere Fragen, andere Themen, es war ein anderes Gespräch. Ich kann mich sehr gut erinnern, wie er erzählt hat, wie es für ihn war, nach vierzig Jahren an den Ort seiner Kindheit zurückkehren zu können. Das war sehr emotional.

 

MEIN VATER DER FÜRST scheint ein sehr persönlicher und auch privater Film zu werden. Wird er dennoch auch auf einer universellen Ebene von einer Vater-Tochter-Beziehung erzählen?

LILA MORGAN: Das ist das Ziel und meine Hoffnung. Dieser Aspekt hat sich jedenfalls im Feedback der wenigen Leute, die den Film bereits gesehen haben, deutlich widergespiegelt.

LUKAS STURM: Es ist erstaunlich, wie alles verblasst, was der Name Schwarzenberg mittransportiert. Es verblassen all die Projektionsflächen und Phantasien, die mit dieser Welt der Aristokratie, mit dem Reichtum und dem Besitz verbunden sind. Man geht in den Film hinein und all das tritt in den Hintergrund. Übrig bleiben eine Tochter und ein Vater. Wir haben die Rohschnitte Männern wie Frauen gezeigt und alle zeigten sich berührt, Söhne wie Töchter. Die Geschichte zwischen einem Kind und einem Elternteil ist interessanterweise so viel stärker als die Assoziation des Materiellen rund um diesen Familiennamen.

LILA MORGAN: Ich erinnere mich noch an einen Moment, wo ich ihm eine Frage stelle und er antwortet, er ist sich nicht sicher, ob man als Vater seine Kinder je wirklich kennt. Es gibt manche Aussagen, wo diese Fremdheit, obwohl man blutsverwandt ist, angesprochen wird und die gibt es, denke ich, in vielen Familien.

LUKAS STURM: Man muss auch sagen, es ist über das Persönliche hinaus auch das Portrait einer Generation. Es ist eine bestimmte Generation von Töchtern und eine bestimmte Generation von Vätern. Es ist das Abbild einer Epoche.

 

Interview: Karin Schiefer

April 2021