© Christian Heck, René Weinber

 

“Mia will nicht gesagt bekommen, wie man denken und handeln soll.”

 

Mia und Marie sind Zwillingsschwestern, von Gleich-Sein jedoch keine Spur. Marie, das lebende Wunschbild aller Lehrer*innen, hat so gar nichts mit der chaotischen und aufmüpfigen Mia zu tun, die wegen ihres Rebellionsgeists von der Schule fliegt, sich von da an allein in einer Monsterschule behaupten muss und dort in einen Kampf gegen böse Mächte verwickelt wird. Die Comic-Heldin Monstrous Maud lieferte den Anstoß zum animierten Abenteuer vom Anderssein MONSTER MIA, das unter der Regie von Verena Fels und René Weinber gerade beginnt, im Wiener Animationsstudio arx anima dreidimensionale Formen anzunehmen.

 

MONSTER MIA ist inspiriert von der Erzählserie Monstrous Maud, die von A. B. Saddlewick Anfang der 2010er Jahre erfunden wurde. Wie lässt sich diese Hauptfigur charakterisieren? Um welche großen Themen wird es in MONSTER MIA gehen?

VERENA FELS: Unsere Hauptfigur Mia Münster lebt mit ihren Eltern und ihrer Zwillingsschwester Marie, die natürlich völlig konträr ist. Es gibt also ein eher klassisch angelegtes Familienbild, wo es aber an Zwisten, wie sie viele Kinder kennen, nicht fehlen wird. Der Einstieg in die Geschichte wird sehr einfach sein, weil Mias Lebenssituation ganz nah an der vieler Kinder liegt. Und mit einer Zwillingsschwester, die immer ganz nah an einem dran ist, entsteht ein interessantes Spannungsfeld. Wie geht man mit jemandem innerhalb der Familie um, der das komplette Gegenteil von dem darstellt, was man selbst ist? Wie muss man Kompromisse machen? Wie kann man teilen? Die ungleichen Zwillingsschwestern bieten ein wichtiges Spannungsfeld, öffnen aber auch den Raum für die Veränderung dieser Beziehung. Es soll in MONSTER MIA viel um Veränderung und Entwicklung gehen: Wer bin ich? Wer will ich sein? Was muss ich dafür tun oder was sollte ich keinesfalls tun? Das sind ganz wesentliche Fragen, die Kinder in verschiedensten Altersstufen beschäftigen und die es zu erforschen gilt. Mia selbst ist eine abenteuerlustige, sehr eigenwillig denkende Persönlichkeit, eine Kämpferin, Erfinderin und Forscherin. Sie hat lauter Eigenschaften, wo mir das Herz aufgeht: Spaß, Mut und sie ist jemand, die die Welt, die auf sie zukommt, aufsaugt und durch eigenes Ausprobieren entdecken will. Im Schulkontext, der im Film sehr präsent ist, will Mia nicht gesagt bekommen, wie man denken und handeln soll. Sie hat mit ihren zwölf Jahren starke Meinungen, mit denen sie auch aneckt.

RENE WEINBER: Mia ist nicht nur lustig und mutig, sie ist auch ein bisschen tolpatschig. Und einen wichtigen Gedanken dieses Films möchte ich gerne noch ergänzen: Man kann so sein, wie man ist und muss sich nicht verändern. Allerdings muss man an den Herausforderungen, die es zu überwinden gibt, wachsen. Die Zwillingsschwestern sind zwar konträr, es ist aber auch total in Ordnung, anders zu sein und einen anderen Zugang zum Leben zu haben.

VERENA FELS: Die tiefe Verbundenheit zueinander innerhalb der Familie wird im Laufe des Films deutlich. Wenn man am Anfang noch gewisse Reibereien spürt, so wird gegen Ende klar, dass die beiden Schwestern erkennen, dass sie gemeinsam stärker sind, zusammengehören, einander akzeptieren und auch ergänzen und bereichern.

 

Animationsfilm ist in Österreich noch eine Rarität. Die österreichische Produktionsfirma von MONSTER MIA arx anima nimmt hier eine Pionierstellung ein. Können Sie uns kurz von Ihrem eigenen Background erzählen und wie es zur Zusammenarbeit in dieser Ko-Regie gekommen ist?

RENE WEINBER: Ich habe für die Serie Talking Tom and Friends als Video-Editor bei arx anima zu arbeiten begonnen, dort das Editorial geleitet und sehr viel Spaß daran gefunden. Es war eine tolle Chance und ich habe hier sehr bald eine berufliche Familie gefunden. Es gibt dort sehr talentierte Leute, die alle erpicht darauf sind, gute Animationsqualität in Österreich zu produzieren. Ich bin immer wieder gerne dort, auch wenn ich selbständig auch eigene Wege verfolge. Arx anima ist immer wieder ein Heimathafen, in den ich gerne zurückkehre. Durch meine Arbeit wurde deutlich, wie sehr ich am Storytelling interessiert bin und dabei auch gut helfen kann. So bekam ich die ersten kleineren Regiejobs und jetzt darf ich an der Seite von Verena an meinem ersten Langfilm Ko-Regie führen. Ich freu mich schon sehr.

VERENA FELS: Ich kann mich dem nur anschließen. Meine erste Zusammenarbeit mit arx anima geht auf meinen ersten Feature-Film Der kleine Rabe Socke zurück, für den ein großer Teil der Animation dort produziert wurde. Das war eine sehr schöne Zusammenarbeit mit einem talentierten Team, wo das Verständnis für Animation sofort spürbar war. Umso mehr hat es mich gefreut, als mir die Regie für MONSTER MIA angeboten wurde. Wenn man sich für die Regie eines Animationsprojekts verpflichtet, dann ist man mindestens zwei Jahre intensiv involviert und steckt sehr viel Herzblut und Energie hinein. Umso wichtiger ist es, mit einem Team zusammenzuarbeiten, wo die Liebe und das Verständnis für das Projekt gleich ticken. Das habe ich hier sofort wahrgenommen. Dazu kommt das gute Gefühl, dem Anspruch an die eigene Arbeit gerecht werden zu können. Ich habe hier eine Verbundenheit gespürt, dieses Projekt in einer Qualität realisieren zu wollen, die international absolut standhalten kann.

 

Der Film ist nach der Hauptfigur Mia benannt. Es gibt sie wie schon erwähnt als Buchheldin. Welche Ideen standen bei der Kreation der Hauptfigur zunächst im Vordergrund? Was muss eine 3D-animierte Hauptfigur anderes können als eine gezeichnete 2D-Figur?

VERENA FELS: Wenn man vom Design spricht, dann liegt seine wesentliche Aufgabe darin, innere Haltungen nach außen sichtbar zu machen. Das ist uns schon recht gut gelungen, auch wenn sich im Prozess, der vor uns liegt, in den Feinheiten gewiss noch viel tun wird. Wie drücke ich über die Haltung aus, dass das Mädchen stark oder abenteuerlustig ist? Das ist zunächst ein abstraktes Wort – mit einem Blick, einer Frisur, einer Körperhaltung, langen Beinen etc. kann ich ganz unterschwellig etwas zum Ausdruck bringen oder einfließen lassen. 2D- und 3D-Figuren funktionieren total unterschiedlich. Bei animierten Figuren geht es vielmehr darum, in Volumina und im Raum zu denken. Ein weiteres Zauberwort ist Appeal, wo es um die Frage geht, wie mich eine Figur anspricht und ich mich mit ihr identifizieren kann. Die Animation ist ein toller Prozess, in dem Abstraktion stattfindet. Abstraktion ist eine ganz starke Kraft, wo ich mich selbst reindenken kann. Da ist nicht jede Wimper oder Muttermal exakt definiert, vielmehr ermöglicht eine gewisse Klarheit in den Linien, dass mein Auge vieles leichter lesen kann und gleichzeitig habe ich Raum, mich selber in die Figur richtig reinzuleben. Es braucht einen guten Mix zwischen Abstraktion und der Greifbarkeit einer Figur, in unserem Fall eines jungen Mädchens. Wichtig sind die Augen: Leuchten sie? Liegt ein Geheimnis in diesen Augen? Und natürlich auch das Lächeln. Gesichtsausdrücke insgesamt gehören zu den stärksten Momenten. Es geht um klare Grundformen, klare Silhouetten, um die Lesbarkeit zu fördern und um dennoch nicht in ein ganz entrücktes Gestaltungsbild abzugleiten. Hier muss man eine Balance finden.

RENE WEINBER: Einen wesentlichen Unterschied zwischen 2D- und 3D-Animation liegt für mich darin, dass der Körper der Figur viel präziser gestaltet werden muss. Bei 2D kann man mehr schummeln, mal einen Schatten weglassen, um etwas anders zu betonen. In 3D ist das wesentlich schwerer und es fällt viel stärker auf, wenn etwas nicht passt. Es ist auch viel schwerer, in 3D mit dem Charakter-Design ein Gefühl zu erzeugen, in 2D ist es viel einfacher, nicht ganz so konkret zu sein.

 

Durch die beiden Schulen, die Mia im Laufe des Films besucht, steht auch die Frage der Gestaltung der jeweiligen Schule im Raum, die zwei völlig unterschiedliche Universen darstellen. Welche Herausforderungen haben sich dabei ergeben?

VERENA FELS: Wir sind in einer sehr frühen Phase und es gibt noch sehr viel Gestaltungsfreiheit. Die Anlagen für die ersten Visuals kommen aus Vorlagen von tatsächlich existierenden Orten. Die Außenwelt ist österreichischen Burgen und Schlössern nachempfunden. Hier waren vor allem die Burg Kreuzenstein und Burg Finstergrün die Vorbilder, um auch eine örtliche Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen. Es macht Sinn, die Geschichte in einer Kultur von Mystik, Monstern, Burgen, und Historie anzusiedeln und dort eine verwunschene Schule zu verankern. Gerne denkt man bei Schlössern und Film zunächst an Walt Disney und Hollywood. Aber selbst das Walt-Disney-Schloss ist ja vom bayrischen Schloss Neuschwanstein geklaut, so ist es doch viel natürlicher, solch eine Geschichte hier regional zu verankern. Wir wollen zwar eine moderne Welt schaffen, obwohl die Monsterwelt natürlich entrückter und mysteriöser ist; das ist für uns die kreative Herausforderung und für das Publikum das Spannende. Das Coole an unserem Universum ist, dass man sich dennoch wiederfinden kann, dass man irgendwann die Straßen in einem Vorort von Wien entlangschlendern und sich vorstellen kann, dass jeden Moment Mia um die Ecke biegen könnte.

RENE WEINBER: Ich sehe die spannendste Herausforderung im Herausarbeiten der Gegensätze zwischen den beiden Schulen. Zwei Welten, die gar nicht so wenig gemeinsam haben und doch grundverschieden sind.

 

Animationsfilm ist ein hochtechnologisches und sehr teamintensives Arbeiten. In welchen Phasen bringt man sich als Regisseur*in besonders stark ein? Wo liegen zwischen Ihnen auch die unterschiedlichen Zuständigkeiten und wo Ihre jeweiligen Stärken?

VERENA FELS: Wir stehen noch ganz am Beginn des Produktionsprozesses, wo das Drehbuch feststeht, wo es erste Entwürfe und Designs gibt und wo gerade die Finanzierung geschlossen wird. Mit Beginn nächsten Jahres beginnen die ersten Produktionsphasen. Ein erster großer Schritt ist die Umsetzung des Drehbuchs in die erste visuelle Form, die man in der Zeichnung als Storyboard, in der bewegten Form als Animatic bezeichnet, wenn die Storyboard-Bilder zeitlich hintereinander geordnet und geschnitten werden. In dieser Phase passiert unheimlich viel, es entstehen erste visuelle Ideen, Kameraarbeit, Rhythmus, visuelle Gags – vieles, was zwischen den Zeilen des Drehbuchs liegt, wird erstmals herausgearbeitet und dargestellt. Es wird viele Gespräche zwischen René und mir, aber auch mit den Drehbuchautor*innen und den Storyboarder*innen geben, da bekommt man erstmals auch ein Gefühl dafür, ob eine Szene spannend, verständlich oder vielleicht zu lang ist. In diesem Prozess entsteht sehr viel Filmemach-Arbeit. Da haben wir beide unsere Stärken, es ist ganz toll, einen Editor zur Seite zu haben, der sehr viel Gefühl für Schnitt und Anschluss hat, und auch dafür, wie ein roter Faden, wie die Dynamik einer Erzählung funktionieren. In dieser einfachen Zeichenform passiert schon sehr viel. Dann kommt der zweite große Meilenstein – die Umsetzung in die dreidimensionale Welt. Da werden Sets und Figuren gebaut, Designs gemacht, Farben festgelegt. Alles Visuelle nimmt konkrete Gestalt an. Die Prozesse laufen nicht immer nacheinander, sondern sind gewissermaßen ineinander verzahnt. Wenn das alles steht, dann kommt viel Technik. Wir bauen für die Figuren Skelette, damit wir sie bewegen können. Das kann man sich wie Marionetten am Computer vorstellen. Was folgt, ist die große Phase der Animation, also des Belebens und Beseelens durch Bewegung. Hier passiert im Grunde die Schauspielarbeit mit dem Computer, also auch ein sehr wichtiges Element der Regiearbeit. Dann kommen der Ton, die Aufnahmen der Stimmen, die nach der Animation nochmals feingetuned werden, die Musik, das Sounddesign. Dann ist der Film fertig. Klingt ganz einfach.

Nach meinen Stärken gefragt, freue ich mich besonders auf das Animations-Schauspiel, auf den Animatic-Prozess, auf Rhythmus, Tempo und Dynamik, auf das Einbauen von Witzen. Ich erzähle gerne lustige, aber keine dummen Dinge. Oft werden Humor und Komik mit Naivität oder Flachheit verwechselt. Ein guter Witz kann Relevanz haben und eine wichtige Message auf eine eindrückliche, lustige, zugängliche Art dem Publikum näherbringen. Wenn etwas von Bedeutung ist, muss es nicht gleich düster, ernst und komplex sein. Klarheit und Lustigkeit sind auf alle Fälle unsere Ansprüche.

RENE WEINBER: Je vielschichtiger der Film ist, desto besser ist er meistens. Hie und da darf auch ein blöder Witz vorkommen, es muss aber immer auch in einem Bogen funktionieren, im Idealfall einen Mehrwert für die Geschichte und eine Dichte haben. Eine der schwierigen Aufgaben in der Regiearbeit besteht darin, die Dinge wegzulassen, die der Geschichte wenig bringen. Was treibt die Geschichte voran? Das auf den Punkt zu bringen und den Film trotzdem unterhaltsam zu gestalten, das wird unsere größte Aufgabe sein. Ganz persönlich freue ich mich vor allem auf den Animatic-Prozess, als Editor ist das mein Steckenpferd. Rhythmus, Storytelling und wie der Bogen erzählt wird, wie viel Zeit, Atem und Raum etwas bekommt, ist für mich extrem wichtig. Ich freue mich aber auch auf die Animationsarbeit, weil in dieser Phase oft Dinge entstehen, mit denen man gar nicht gerechnet hat, weil die Animateur*innen selbst dem Ganzen noch Farbe und Charakter geben, die man vorher gar nicht gesehen hat. Das Schöne an der ganzen Arbeit ist der Entwicklungsprozess. Es gibt anfangs einen Plan, aber die Geschichte entsteht beim Machen.

 

An wen soll sich MONSTER MIA in erster Linie richten?

VERENA FELS: Im besten Fall an alle. Eltern können vielleicht andere Dinge rauslesen als Kinder und Jugendliche. Und dann vor allem Kinder, die in einer ähnlichen Situation wie die Figuren sind. Ich möchte mich da gar nicht auf eine Altersgruppe festlegen. Unsere Themen sind: Wo gehöre ich dazu? Wer bin ich? Soll ich mich verändern? Oder bin ich richtig? Warum ecke ich an? Das sind ganz wesentliche Fragen, die ganz früh losgehen und ganz spät enden. Da würde ich auch uns nicht ausschließen. Wer sich diesen Fragen stellen und diesen Gedanken folgen möchte, der wird ganz viel erkennen können und auch ganz viel Spaß haben. Es ist ein lustiger Film, ein Abenteuerfilm, es soll eine spannende Reise werden, wo es ganz viel zu entdecken gibt.

RENE WEINBER: Wir arbeiten an einem Abenteuerfilm für die ganze Familie. Spaß für alle ist unser Ziel.

 

Interview: Karin Schiefer

September 2022