Im Gespräch mit Tizza Covi
Drehbuchautorin VERA
© Aljoscha Covi-Frimmel
„Die Frage nach der ewigen Schönheit ist gerade im Milieu des italienischen Fernsehens und teilweise auch Kinos immanent.“
Die Begegnung und somit der Zufall stehen meist am Anfang von Tizza Covis und Rainer Frimmels schlichten wie packenden Geschichten vom Leben. Im Falle von Vera Gemma war der erste Impuls eher ein ablehnender gegenüber einer Frau mit einem provokanten und der plastischen Chirurgie nicht gerade geglückten Äußeren. Die Faszination für die Tochter des legendären Giuliano Gemma kam erst auf den zweiten Blick und führt in VERA ins Rom voll der Echos seiner Ära als „Cinecittà“ und lässt dabei den harschen Wind aus der Vorstadt vernehmen.
Am Anfang des Projekts VERA ist wohl die Begegnung mit Vera Gemma gestanden. Wie kam es dazu?
TIZZA COVI: Vera Gemma, unsere Protagonistin, ist die Tochter des in Italien überaus populären Schauspielers Giuliano Gemma. Gesehen hab ich sie zum ersten Mal in einer Zirkusvorstellung während der Dreharbeiten zu Mister Universo, da sie an einer Doku über Artisten gearbeitet hat. Ich habe nur ein paar Worte mit ihr gewechselt und mir gedacht: „Was für eine verunstaltete Frau!“ Einige Wochen später hatte ich dann die Gelegenheit, sie kennenzulernen und mich mit ihr zu unterhalten und ich muss sagen, ich habe mich selten so köstlich amüsiert wie an diesem Abend mit Vera. Das hat mir vor Augen geführt hat, wie sehr auch ich, die ich mich für so offen und tolerant halte, in die Falle der Vorurteile tappen kann, denn ich habe sie nur wegen ihres Äußeren als jemanden abstempelt, mit dem ich nichts zu tun haben möchte. Diese Diskrepanz hat mich an mir selbst verwundert. Und die Begegnung mit Vera hat genau das Gegenteil hervorgebracht: Die Faszination war vom ersten Gespräch an da.
Wie weit war dann noch der Weg, bis sie zur Hauptfigur für ein nächstes Filmprojekt wurde?
TIZZA COVI: Bei uns ist nicht immer die erste Begegnung entscheidend. Aber wenn eine Faszination für jemanden da ist, will man natürlich mehr über diese Person und ihr Leben erfahren, ohne notgedrungen gleich an eine mögliche Filmfigur zu denken. Ich habe begonnen, Vera sehr oft in Trastevere in Rom zu besuchen, wir waren spazieren und haben stundenlang über ihre Lebensgeschichte gesprochen. Dann hab ich begonnen, sie mit dem Tonbandgerät aufzunehmen und Fotos zu machen. Und nach ein paar Jahren hab ich sie angerufen und ihr erzählt, dass ich ein Drehbuch für sie schreiben möchte. So beginnt ein Projekt meistens bei uns. Wir haben immer eine sehr lange Anlaufzeit. Ich habe Vera zuerst sehr gut kennenlernen müssen, bevor ich ein Drehbuch schreiben konnte.
Die Lebensgeschichte von Vera Gemma ist die wesentliche Inspirationsquelle, dazu kommt ähnlich wie in La Pivellina auch wieder ein gesellschaftliches Phänomen, das in Italien sehr häufig vorkommt und ebenfalls in diese Geschichte einfließt. Worum handelt es sich da? Wie ließen sich die beiden Aspekte ineinander verweben?
TIZZA COVI: Es handelt sich um das Thema Versicherungsbetrug, das wir schon lange einmal einbauen wollten und das in Italien gang und gäbe ist. Wir wollen das aber in keinster Weise anprangern, sondern zeigen, dass es für Menschen oft der letzte Ausweg sein kann, um über die Runden zu kommen. Italien hatte schon vor der Corona-Krise eine sehr hohe Arbeitslosigkeit in den Vorstädten und unglaublich prekäre Lebensverhältnisse. Wenn das Geld so knapp ist, muss man teilweise phantasievoll werden. Wir wollen in keiner Weise zeigen, wie schlecht die Italiener*innen sind, sondern wie schlecht es ihnen geht. Ich war südlich von Neapel in einem Regionalzug unterwegs und bin mit einem Mitreisenden ins Gespräch gekommen. Er fragte mich nach meinem Beruf und ich ihn nach seinem. Seine Antwort war: „Ich bin Versicherungsbetrüger“ und ich fragte ihn: „Wie geht denn das?“ Und da erklärte er mir, wie er Autounfälle fingierte, um zu Geld zu kommen. Ich habe dann sehr viel zum Thema nachgelesen und recherchiert. Am Ärgsten fand ich, dass sich jemand einen Arm- oder Beinbruch zufügen lässt und sich dann ins Auto setzt, weil das Verletzungen sind, die besonders viel Geld bringen. Uns interessiert so etwas, weil es eine Grenzüberschreitung bedeutet, die zeigt, wie groß die Verzweiflung der Menschen sein muss.
Die Geschichte hat unter dem Titel Artikel 664 den Carl Mayer-Drehbuchpreis für das Treatment bekommen. Ist VERA im Vergleich zu anderen Drehbüchern eine stärker fiktionalisierte und auserzählte Geschichte, die ihr auch stärker als die bisherigen inszenieren müsst?
TIZZA COVI: Wahrscheinlich. Dass ich beim Carl Mayer-Drehbuchpreis eingereicht habe, war aufgrund des Themas, das sehr gut gepasst hat und auch, weil ich es als sehr angenehm empfunden habe, einmal anonym einzureichen. Umso mehr hat es mich gefreut, dass ich den Förderpreis bekommen habe. Was ich anfangs nicht bedacht hatte, war, dass man dafür ein 100-seitiges Drehbuch mit Dialogen schreiben musste, das hatte ich bis dahin noch nie in diesem Ausmaß gemacht. Aber ich habe es als sehr schöne Arbeit erlebt. Durch diese neue Erfahrung ist vielleicht auch mehr Fiktion eingeflossen. Wobei wir beim Dreh normalerweise immer reduzieren. Und die Verbindung dieser beiden Themen war wie aufgelegt: Vera Gemma ist schon so oft betrogen worden und zwar mit höchst abstrusen Geschichten. Veras Offenheit und Ehrlichkeit, mit der sie erzählt, wie sie immer wieder bestohlen oder ausgenützt worden ist, ist eine ihrer ganz großen Qualitäten. Ihre Fähigkeit sich selbst zu reflektieren und sich selbst möglichst ehrliche Antworten zu geben, gehört zu den besonders interessanten Aspekten ihrer Persönlichkeit.
VERA scheint nicht nur eine Geschichte über eine und mit einer außergewöhnlichen Frau zu sein, sondern auch ein universelles Thema zu berühren, das besonders Frauen betrifft, das Streben zu gefallen und stets von einem Schönheitsideal unter Druck gesetzt zu sein.
TIZZA COVI: Das stimmt. Die Frage nach der ewigen Schönheit ist gerade im Milieu des italienischen Fernsehens und teilweise auch Kinos immanent. Und man kann es nur falsch machen: wenn man sich nicht operieren lässt, gehört man bald zum alten Eisen, und wenn man sich zu viel optimieren lässt, hat man es nach schlechten Resultaten noch schwerer, wir alle kennen ja die vielen „Vorher-Nachher“ Fotos von berühmten Schauspielerinnen im Internet.
Ist das Drehbuch nahe der Inspirationsquelle in Italien entstanden?
TIZZA COVI: Nein. Ich schreibe meistens sehr konzentriert und in sehr kurzer Zeit. Das Drehbuch für den Carl-Mayer-Preis habe ich im Café Schopenhauer geschrieben. Ich bin eine große Trödlerin, wenn ich dann aber etwas will, dann mache ich es 24 Stunden lang, jeden Tag, bis es fertig ist. Ich könnte weder täglich zu fixen Schreibzeiten arbeiten noch mich längere Zeit total zurückziehen. Wenn ich etwas in Angriff nehme, dann muss es ratzeputz gehen.
Wird der Dreh aufwändiger werden, wenn es gilt, Autounfälle oder Einbrüche zu inszenieren?
TIZZA COVI: Nein, das wird nicht besonders aufwändig, wir wissen schon genau, wie wir es drehen werden. Wenn wir etwas im Laufe der Jahre gelernt haben, dann ist es das reduzierte Arbeiten und die Konzentration auf die Charaktere. Das erleben wir subjektiv als die Qualität unseres Arbeitens. Wir wollen uns ja an keinem Hollywood-Movie messen. Wir werden wieder auf Super-16mm drehen, und wir werden wieder nur zu zweit am Set sein. Denn so können wir am besten und konzentriertesten Arbeiten.
Wie hat sich das Casting von berühmten Menschen, die Vera gut kennt, über Schauspieler*innen und Laien zusammengefügt?
TIZZA COVI: Viele Charaktere sind durch Vera in die Geschichte gekommen. Den alten Regisseur, mit dem sie auf einer Party spricht, möchten wir mit Dario Argento besetzen, den sie seit ihrer Kindheit kennt und der sie mag. Oder vielleicht mit Lina Wertmüller, einer guten Freundin ihres Vaters Giuliano. Wir schauen immer, so nah wie möglich an ihrem wahren Leben zu bleiben. Und Vera liefert ständig Input. Plötzlich bekomme ich wieder ein Video von jemandem, den sie kennt, mit der Frage: „Hast du nicht vielleicht eine Rolle für sie/ihn? Sie trägt somit einen großen Anteil am Casting. Vera sieht unseren Film natürlich als eine große Chance, da sie erkannt hat, dass es da jemanden gibt, der sie als etwas Besonderes wahrnimmt, und hinter ihre provokative und extrovertierte Erscheinung blickt. Die Chance, endlich eine Hauptrolle zu spielen und ihr Talent zu beweisen will sie nutzen und darum unterstützt sie uns in jeder Hinsicht.
Die Laiendarsteller*innen hingegen haben wir alle direkt aus der Umgebung der Kirche und des Fußballvereins des römischen Vorort San Basilio gecastet, in dem der zweite Teil des Filmes spielen wird. Das Casting durften wir dank des Engagements des Priesters im Pfarrraum abhalten und der Fußballplatz liegt so nah an der Kirche, dass man während der Messe hören kann, wenn ein Tor fällt. San Basilio ist ein Viertel, wo wir uns gut bewegen können. Man muss sich trotzdem immer vor Augen halten, dass es kein ungefährliches Viertel ist. Trotzdem freut sich Vera schon, mit ihren rosa Pelzmänteln durch San Basilio zu stöckeln. Sie hat den richtigen Humor dazu.
Was das Kind betrifft, das auch eine wesentliche Rolle spielt, müssen wir allerdings flexibel bleiben, weil letztlich Corona unseren Drehstart bestimmen wird und das Alter des Buben stimmen muss. Eltern und Trainer des Fußballclubs sind sehr engagiert, da sind wir sehr zuversichtlich. In der Rolle des Chauffeurs hätten wir sehr gerne Walter Saabel, weil er mit Vera eine sehr gute Beziehung hat und sie tatsächlich öfter führt, und wir finden, dass er sehr gut in diese Rolle passt.
Nach mehreren Arbeiten im Milieu des Zirkus, nach dem Theater (Der Glanz des Tages), und der Musik (Aufzeichnungen aus der Unterwelt) seid ihr mit VERA in der Welt des Kinos gelandet mit einem Film, der auch das Medium selbst, seine Mythen und seine Schattenseiten erzählt.
TIZZA COVI: Das ist ein sehr reizvoller Punkt für uns. Es hat uns auch an Vera sehr fasziniert, mit welcher Selbstverständlichkeit sie in dieser Welt der ganz Großen des italienischen Kinos, wie z.B. Sergio Leone aufgewachsen ist. Interessant ist allerdings, dass unsere italienischen Kolleg*innen nicht glauben, dass man mit Vera wirklich arbeiten kann, da sie sich ihren Ruf schon mehrmals ruiniert hat und das immer noch tut, indem sie in vielen letztklassigen Fernsehshows mitmacht und durchwegs bizarre Auftritte liefert. Wir sehen das ganz anders.
Wie sehr sind die Drehvorbereitungen in Rom selbst schon vorangekommen?
TIZZA COVI: Bevor die Corona-Krise begonnen hat, haben wir ein sehr intensives Vorbereitungsjahr verbracht und waren jeden Monat einige Zeit in Rom. Wir hatten VERA so gut vorbereitet wie noch nie einen Film zuvor. Der Drehstart war für März 2020 vorgesehen und jetzt heißt es warten und immer wieder adaptieren. Wir hatten eine Tanzszene mit älteren Leuten vorgesehen, die haben wir schon rausgenommen, weil sie gewiss nicht so schnell gedreht werden darf. Aber auch noch vieles andere, von dem wir glauben, dass es nicht mehr machbar ist, denn es ist z.B. unmöglich geworden, Szenen in der Nähe eines Spitals dokumentarisch zu drehen. Es kommt letztlich unserem Ansatz der Reduktion in gewisser Weise entgegen.
Wie sieht nun der Plan aus, falls Corona sie nicht wieder aufs Neue durchkreuzt?
TIZZA COVI: Wenn alles gut geht, könnten wir im frühen Winter beginnen, an einigen Innenszenen mit Vera und ihren Freundinnen zu arbeiten und diese auch festzuhalten. Das beträfe aber nur das erste Drittel des Films. Aktuell werden aufgrund der hohen Zahlen an Neuinfektionen viele Reisewarnungen ausgesprochen, die eine genaue Planung unmöglich machen. Die weiteren Dreharbeiten sehen wir aus jetziger Sicht eher im Februar. In Italien sind die Verhältnisse aktuell viel besser als hier in Österreich, aber das kann sich leider auch sehr schnell ändern. Wir haben ca. 40 Drehtage geplant, wobei wir meist zwei Wochen arbeiten und dann wieder eine Woche Pause einlegen, bevor es wieder weiter geht. Wann auch immer wir beginnen dürfen, wir freuen uns schon sehr darauf.
Interview: Karin Schiefer
September 2020