Im Gespräch mit Filmemacherin Kurdwin Ayub
Ihr zweiter Spielfilm MOND wurde beim berühmten Filmfestival Locarno kürzlich mit dem Spezialpreis der Jury prämiert. Wie haben Sie diese prestigeträchtige Auszeichnung erlebt?
Ich freue mich sehr, dass MOND ausgezeichnet wurde und hoffe, dass der Preis dem Film zu mehr Sichtbarkeit verhilft. Es wird immer schwieriger, Arthouse-Filme einem breiten Publikum zugänglich zu machen, wenn man nicht bereits zu den international bekannten Namen gehört.
Bereits Ihr erster Spielfilm SONNE hat Ihnen den Preis für das beste Erstlingswerk bei der Berlinale eingebracht. Auch der vorangegangene Kurzfilm BOOMERANG und die Dokumentation PARADIES! PARADIES! wurden mit Filmpreisen bedacht. Welche Möglichkeiten haben diese Erfolge mit sich gebracht und wie groß war der Druck, mit MOND neuerlich zu überzeugen?
Wir arbeiten in einer sehr kompetitiven Branche, mit unglaublich vielen Talenten und unglaublich wenigen Chancen. Es gibt so viele großartige Bücher und Filme, die nie gesehen werden. Man kann nur unter Selbstzweifeln und Versagensängsten leiden. Ich habe immer noch das Gefühl, mich bei jeder Arbeit beweisen zu müssen. Und ich habe ständig das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Aber ich glaube, den geht’s meisten so. Ich stecke mein Bestes in jeden Film, weil man immer glaubt, es könnte der letzte sein. Es ist nämlich keine Selbstverständlichkeit, gefördert zu werden und ein „richtiges“ Budget zu haben. Also ja, ich stehe unter Druck. Und ich will immer besser werden. Auf eine seltsame Art und Weise finde ich dieses Gefühlschaos auch irgendwie geil, sonst würde ich es ja nicht machen.
Filmemacherin Kurdwin Ayub ©Neven Allgeier
MOND erzählt die Geschichte der ehemaligen Kampfsportlerin Sarah aus Österreich, die als Personal Trainerin für drei Schwestern einer reichen Familie in Jordanien arbeitet. Was wie ein Traumjob klingt, nimmt bald beunruhigende Züge an: Die jungen Frauen, Nour, Schaima und Fatima, sind von der Außenwelt abgeschottet und werden ständig überwacht. Nours Drang nach Freiheit steht im starken Kontrast zu der Leere und Einsamkeit, die Sarah in Österreich verspürt. Während Nour aus ihrem Käfig ausbrechen will, wünscht sich Sarah insgeheim ihren eigenen zurück. Was sind aus Ihrer Sicht die „Herzensthemen“, die Sie als Filmemacherin in MOND behandeln wollten?
Ich wollte eine Geschichte über eine Europäerin erzählen, die in eine Situation gerät und sich fragen muss, ob sie helfen wird oder nicht. Das Publikum soll sich mit der Europäerin identifizieren, mit ihr eintauchen und sich die Frage stellen: Ist man wirklich so kämpferisch und heldenhaft, wie man glaubt? Und wie weit erwartet man, dass Sarah, und auch man selbst, Helden sind? Es geht aber auch um Sarahs Gegenüber – junge Frauen, denen man nicht zutraut zu kämpfen, die aber in Wirklichkeit die wahren Heldinnen sind.
Der Clash der Kulturen war auch Thema in Ihrem Spielfilm SONNE. Sie selbst kamen als Baby mit Ihren Eltern aus dem Irak nach Österreich. Wie viel persönliche Erfahrung steckt hinter dem Handlungsgeschehen Ihrer Filme – in puncto Ausloten kultureller Grenzen?
Ich untersuche gerne die Beziehung zwischen West und Ost, die sich in ihren Machtverhältnissen ständig verändert. Es geht um Identitäten und Stereotype, um Migration und Flucht. Ich drehe Filme über diese Geschichten, weil ich Teil dieser Geschichte bin. Ich kann nicht anders. Mein Leben ist vom Kriegs- und Fluchttrauma meiner Eltern geprägt.
MOND wurde zum größten Teil in Jordanien gedreht und gecastet. Welche Herausforderungen einerseits und Chancen andererseits hat das mit sich gebracht?
Ich war oft in Kurdistan und im Irak, daher fühlte sich Jordanien für mich nicht fremd an. Der Unterschied zum Irak ist, dass Jordanien doch etwas liberaler und insgesamt auch sicherer ist. Viele Hollywood-Filme werden dort gedreht. Viele Mitglieder meiner Crew hatten direkt vor MOND an DUNE 2 gearbeitet, was ich sehr amüsant fand. Jedenfalls habe ich Jordanien lieben gelernt und dort auch junge Filmemacherinnen kennengelernt. Als sie mir von ihrer Jugend erzählten, erinnerte mich das sehr an meine eigene. Ich musste an diese Szene aus Madagascar 2 denken, in der das Zebra Marty zum ersten Mal Artgenossen sieht. In meiner Jugend war nur meine Familie um mich herum. Aber diese Regisseurinnen sind wie ich, lauter Kurdwins. Sie reisen viel, haben gegen ihre Eltern rebelliert und hören Emo-Musik. Ich habe dort Freunde gefunden und möchte meinen nächsten Film wieder in Jordanien drehen.
Sie haben an der Universität für angewandte Kunst in Wien Malerei und Animation studiert, später auch noch Performancekunst an der Akademie der bildenden Künste. Wann und wie haben Sie Film als künstlerisches Ausdrucksmittel für sich entdeckt?
Ich wollte schon immer Filme machen, habe mich aber nicht getraut, mich an der Filmakademie zu bewerben, weil ich dachte, man müsste ein Genie sein – was auch immer das bedeuten mag. Deswegen habe ich angefangen, Malerei und Animationsfilm zu studieren, weil ich malen konnte. Im Nachhinein glaube ich, dass das eine sehr gute Entscheidung war, da ich so mehr experimentieren konnte und nicht den klassischen Weg an der Filmhochschule gehen musste.
In einem kürzlich erschienenen Interview haben Sie gesagt, dass es Ihnen nicht gefällt, dass Filme im Allgemeinen in letzter Zeit „sehr nett“ – gewissermaßen kantenlos – geworden sind. Würden Sie die Provokation als ein Stilmittel Ihrer Filme bezeichnen? Welche Inspirationsquellen gibt es hinter Ihrer Filmsprache?
Kunst ist dazu da, um aufzurütteln. Das war sie schon immer. Ich weiß nicht, wofür man sie sonst bräuchte. Ich will einen Film sehen, der mich fesselt, mich nicht loslässt, der mich zum Nachdenken anregt, mich weiterbringt, mir Fragen stellt, mir einen Sinn gibt, mich triggert und mich dazu verführt, etwas zu verändern. Mit einem netten, braven Film wird das nicht passieren. Nette Filme wollen die Welt nicht verändern. Aber diese Welt, in der wir leben, ist alles andere als nett und perfekt.
SONNE und MOND sind Teil einer Filmreihe. Wann darf mit dem dritten Teil gerechnet werden und möchten Sie uns schon verraten, worum es darin gehen wird?
In meinem nächsten Film geht es um eine junge US-Reporterin, die im Irak zwischen die Fronten gerät, als der IS das Land überfällt. Der Film handelt vom Krieg und davon, wie sich dieser im Alltag der Menschen anfühlt. Das Buch ist inspiriert von wahren Begebenheiten.