Im Gespräch mit Johanna Lietha
HEART BEATS
Rhythmen treffen uns tief im Inneren.
Mit Familie verbindet sich so manche Idealvorstellung, vor allem aber unzählige Realitäten. Für Chris ist nach dem Tod seiner Frau der Zeitpunkt für eine Übersiedlung von Zürich nach Wien und für einen Neuanfang mit Patchwork gekommen. Was diese Umstellung für seine elfjährige Tochter Lia bedeutet, hat er allerdings nicht wirklich mitbedacht. Johanna Lietha lässt sich in HEART BEATS auf den Widerstand ihrer jungen Protagonistin ein, die nach dem Verlust ihrer Mutter selbst den Takt bestimmen will, wie sich ihr neuer Alltag nach und nach verändern kann.
HEART BEATS ist Ihr zweiter Spielfilm nach Lovecut, der die Lebenswelten junger, in Wien lebender Erwachsener erkundet hat. Was hat Sie ins Genre des Kinderfilms geführt?
JOHANNA LIETHA: Die Produzentinnen der berg hammer film, Karin Berghammer und Barbara Eppensteiner, haben mich in das Projekt geholt. Es gab ein Exposé, das ursprünglich für jüngere Kinder gedacht war, und die Freiheit, daraus zu machen, was ich möchte. Das war schön, denn der Stoff konnte sich sehr stark weiterentwickeln. Eine Grundlage zu haben, war dennoch eine spannende Ausgangslage. Vielleicht wäre ich selbst gar nicht auf die Idee gekommen, einen Kinderfilm zu machen; das Projekt hat mich aber voll angesprochen. Ich hatte gerade mein zweites Kind bekommen, insofern war es auch naheliegend. Eigentlich war dieses Angebot dafür ausschlaggebend, dass ich mich mit dem Genre Kinderfilm näher zu beschäftigen begann.
Welchen Fragen und vielleicht auch Hürden muss man sich stellen, wenn man das Drehbuch für einen Kinderfilm erarbeitet?
JOHANNA LIETHA: Was mir anfangs nicht bewusst war, war der Umstand, dass einen Kinderfilm zu machen teurer ist. Womöglich wäre es vorteilhaft gewesen, dies schon während der anfänglichen Entwicklung zu bedenken, denn später musste ich aus diesem Grund das Buch stark kürzen, was mir schwerfiel.
Ein Aspekt, der uns sehr wichtig war, war der Faktor Humor. In unseren Zielgruppenrecherchen kam heraus, dass Kinder im Kino lachen wollen – ohne dass es sich unbedingt um eine Komödie handeln muss. Unsere Zielgruppe liegt zwischen acht und dreizehn, ist also nicht so jung. Es gibt manchmal die Vorstellung, dass man für junges Publikum „kindlicher“ erzählen muss, aber eigentlich wollen Kinder ernst genommen werden. Daher war es mir ein Anliegen, authentisch, realistisch und auf Augenhöhe zu erzählen.
Lia, die Protagonistin von HEART BEATS, ist zwischen elf und zwölf. Ein interessantes Alter, wo das Zwischen-den-Welten-Sein beginnt. Was steht Ihrer Meinung nach in diesem Alter auf dem Spiel?
JOHANNA LIETHA: Elf, zwölf ist vorpubertär. Da geht dann alles unglaublich schnell in der Entwicklung. Man ist aus der totalen Phantasiewelt schon eine Weile draußen, aber man ist, glaube ich, noch knapp mehr Kind als Jugendliche*r. Diese Grenze halte ich für sehr spannend. Es besteht gerade noch das Bedürfnis, richtig Kind zu sein, auch wenn man schon in Richtung der Älteren äugt und sich vorstellt, was man noch alles werden möchte. Ich sehe vor allem die Notwendigkeit, dass man noch Kind sein darf. Gerade für Lia in unserer Geschichte ist es noch sehr wichtig, Kind sein zu dürfen, weil sie ihren Papa und eine starke Geborgenheit braucht. Möglicherweise behandelt ihr Vater sie zu sehr wie eine Jugendliche und gibt ihr zu wenig Sicherheit und Halt.
Sie sprechen in HEART BEATS alles andere als leichte Themen an: Es geht um Verlust und Trauer, um eine einschneidende Veränderung der Lebenssituation, obwohl Lia noch sehr fragil ist. Erwachsene treffen Entscheidungen, die Kinder überfordern. Wie wichtig war es ihnen, schmerzhafte Themen anzusprechen, die die Lebensrealitäten von Kindern reflektieren?
JOHANNA LIETHA: Wenn man mit Kindern spricht, erfährt man sofort, dass sie sich für tiefgründige und essenzielle Themen interessieren, genau deshalb, weil diese Teil ihres Lebens sind. Grundsätzlich gibt es ja sowieso niemanden, den Tod und Trauer nicht betreffen, allein durch die eigene Sterblichkeit. Ich glaube, dass Kinder in diesen Themen eine sehr bewusste und ehrliche Begleitung brauchen. Eine Begleitung, die alles anspricht, ohne Tabus, ohne versteckte Dinge und unterdrückte Gefühle; wo alles sein darf und dadurch schwierige Momente besser verarbeitet und durchlebt werden können. Darum halte ich es auch für wichtig, diese Themen in Filmen zu thematisieren.
Eine Prämisse des Humors mit Themen wie Verlust und Überforderung zu koppeln, war gewiss keine einfache Aufgabe?
JOHANNA LIEHTA: Es ist gewiss nicht so, dass der Film nur witzig ist. Uns war aber sehr wichtig, dass der Film neben der Tiefe viel Leichtigkeit beinhaltet und auch hoffnungsvoll ist. Es geht viel um Hoffnung in dieser Geschichte, weil es auch meine persönliche Haltung ist, dass es diese gibt und dass man sie einander geben kann. Somit war es mir auch wichtig, dass die Figuren das machen. Ich glaube generell, dass uns Menschen das Lachen sehr guttut als Bewältigungsstrategie, als Reaktion auf Schwierigkeiten, um damit klarzukommen. Probleme bekommen eine andere, zusätzliche Ebene. Sobald ich über etwas Schwieriges lachen kann, bedeutet es nicht mehr den Untergang.
Die zweite kindliche Hauptfigur des Films ist Pauline, die das Down-Syndrom hat. Mit ihr und ihrem schulischen Umfeld kommen Inklusion und Diversität in der Abbildung der gesellschaftlichen Realität ins Spiel. Wie wichtig war Ihnen das?
JOHANNA LIEHTA: Ich halte die Repräsentation von Diversität im Film für unglaublich wichtig. Eigentlich sollte das gar keine Frage sein, denn die Welt ist ja divers. Wenn die Welt im Film nicht divers abgebildet wird, grenzen wir bereits aus und erzeugen ein verfälschtes Bild.
Eine diverse Gesellschaft ist im echten Leben für alle Beteiligten bereichernd und somit ist auch deren Abbildung in Geschichten und im Film bereichernd. Jede Begegnung – wie in unserer Geschichte mit Menschen mit Behinderung – trägt dazu bei, Berührungsängste abzubauen. Das ist insbesondere für jene Menschen relevant, die aus Mangel an Berührungspunkten Berührungsängste haben. Das beschäftigt mich persönlich stark, denn da gibt es gesellschaftlich noch viel Luft nach oben.
Es gibt dann noch den mit Lia gleichaltrigen Jungen Luís, zu dem sich Lia hingezogen fühlt und der die Musik einbringen wird. Mit Luís kommt auch eine zweite Familie in die Geschichte. Warum war es Ihnen auch wichtig, diesen möglichen Freund von Lia in seinem familiären Kontext einzubetten, der eine Art Parallel- oder Gegenfamilie zu Lias neuer Patchworkfamilie bildet.
JOHANNA LIETHA: Luís hat ja auch keine perfekte Familie. Aber Kinder wie auch wir alle vergleichen die eigene Situation gerne mit den anderen. Auch wenn seine Familie keine „Bilderbuch“-Familie ist, ist sie für Lia eine Art Wunschfamilie, weil dort Herzlichkeit und Offenheit herrschen, und damit auch eine größere emotionale Freiheit. Aus Luís‘ Perspektive gibt es auch jede Menge Baustellen in seiner Familie, für Lia hingegen eröffnet sie neue Möglichkeiten. Bei Luís Mutter erlebt Lia ein Gefühl des Verstanden-Werdens, das sie in ihrem eigenen Zuhause unbewusst vermisst. Außerdem lebt – und stirbt – in Luís Familie die Großmutter Renita. Durch sie kann Lia dem Tod und dem Abschiednehmen auf neue, versöhnlichere Weise begegnen.
Chris, Lias Vater, und Sonja, die neue Frau in seinem Leben, mit der er eine Patchworkfamilie bilden möchte, sind zwei Erwachsene, die Vieles gut meinen und nicht merken, wie sehr sie Lia keine Wahl lassen.
JOHANNA LIETHA: Bei Chris ist es ein sehr großes eigenes Verdrängen wenige Jahre nach dem Tod seiner Partnerin, der Mutter von Lia. Er kann zum gegebenen Zeitpunkt nicht anders und damit möchte ich ein spannendes Thema in Bezug auf Elternschaft ansprechen. Als Eltern versuchen wir alle, es möglichst gut zu machen und sind dabei total fehlerhaft. Wir können nie gut genug sein, oder eigentlich schon, wenn wir anerkennen, dass wir auch Fehler machen. Aber es ist ein konstantes Ringen zwischen dem Ideal und der Realität. So nehme ich das jedenfalls wahr und es trifft auch stark auf Sonja zu. Sie sollte sich dieser Sache allerdings stärker bewusst sein, das würde allen so einiges erleichtern. Kinder haben sehr feine Antennen dafür, wenn etwas nicht ehrlich oder authentisch ist. Manchmal ist es aber verwirrend für sie, weil sie vielleicht noch nicht den Finger darauf zeigen können, es noch nicht benennen können. Sonja ist nicht ehrlich mit sich selbst und ihren eigenen Gefühlen und wäre gerne „perfekter“ als sie wirklich ist, Lia spürt das und reagiert mit Widerstand. Erst als Sonja authentisch wird, kann Lia sie als neue Partnerin ihres Vaters annehmen.
Pauline, Sonjas Tochter, ist ja eine sehr sensible Person, die Dinge treffend auf den Punkt bringt.
JOHANNA LIETHA: Menschen mit Down-Syndrom haben eine unglaubliche emotionale Intelligenz, die mich immer wieder von neuem beeindruckt. Pauline hat die Gabe, dass sie sofort erkennt, wenn etwas nicht stimmt, dass sie alles ausspricht und auf wunde Punkte den Finger draufhält. Das ist für alle Beteiligten gut. Ich liebe diese Figur, sie ist das „Herz“ der Geschichte.
Der Titel HEART BEATS verweist schon auf den Umstand, dass es einerseits um Emotionen, andererseits um Rhythmus geht. Musik im Sinne von Rhythmus und Energie nehmen eine wichtige Rolle ein. Was schreiben Sie dieser auditiven Ebene zu? Welche Kraft, welche Energie kann sie in den Film bringen?
JOHANNA LIEHTA: Ich halte Rhythmen für total wirkungsvoll und archaisch. Selbst reagiere ich unheimlich stark auf Rhythmen, sie treffen uns tief im Inneren und sind heilsam. Und sie passen unheimlich gut zum Leben- und Tod-Thema dieses Films. Der Herzschlag, den wir schon im Bauch der Mutter hören, unser eigener, der uns ein Leben lang begleitet, das Ein- und Ausatmen, Tag und Nacht, die Zeit… An sich sind Rhythmen überall vorhanden und prägen unser Dasein, was sich auch in Lias subjektiver auditiver Wahrnehmung zeigt, die mittels der Tonebene reflektiert wird. Gleichzeitig lernt Lia im Verlauf der Geschichte, ihre innere Rhythmusaffinität mit Perkussion und Schlagzeug auch im Außen zum Ausdruck zu bringen. Es löst eine große Begeisterung bei ihr aus und ich wünsche mir, das auch aufs Publikum zu übertragen und ein positives Lebensgefühl zu vermitteln. Es wäre ein Ziel dieses Films, erlebbar zu machen, was für ein Potential Rhythmen haben, Lebensenergie in uns frei zu setzen.
Wird die Musik, vor allem die Percussion nur Teil der Erzählung sein oder wird es auch eine Filmmusik geben?
JOHANNA LIETHA: Die Filmmusik wird die diegetischen sowie nicht diegetischen Rhythmen der Tonebene aufgreifen und weiterspinnen. Rhythmus und melodischere Musik werden fließend ineinander übergehen. Ich möchte in der Komposition auch mit dem Aus-dem-Rhythmus-Fallen spielen und bin offen für einen experimentellen Ansatz. Ich möchte es unbedingt nutzen, wie Filmmusik die Gefühlsebene zusätzlich ansprechen kann.
Einen Kinderfilm zu drehen ist für die Regie eine besondere Aufgabenstellung. Sie haben bereits das Cinekid Director’s Lab absolviert. Worauf wurde da eingegangen?
JOHANNA LIETHA Es ging einerseits darum, wie man einen Dreh mit Kindern so planen und umsetzen kann, dass er überhaupt machbar ist. Die Kinder sollen sich in einem sicheren Rahmen künstlerisch entfalten können und gleichzeitig muss in verhältnismäßig kurzer Zeit viel abgearbeitet werden. Dann ging es auch um Schauspielführung und Casting. Mich hat insbesondere die Schauspielführung interessiert, weil ich ein bisschen Bammel davor hatte, Kinder zu inszenieren. Ich hatte bisher mit Jugendlichen gearbeitet aber noch kaum mit Kindern. Aber ich habe festgestellt, dass es so anders nicht ist. Es geht vor allem um Vertrauensaufbau und die Vermittlung von Sicherheit. Und auch darum, ihnen den Rahmen zu schaffen, dass sie sich vollkommen auf das Spiel einlassen können. Ich freue mich jetzt sehr auf die Arbeit mit den Kindern – das Lab hat mich in meiner Herangehensweise bestärkt und mir viel Sicherheit gegeben.
Wie weit ist das Casting schon fortgeschritten?
JOHANNA LIETHA Wir hatten ein Vorcasting für die Einreichungen. Das Kindercasting werden wir erst weiterführen, wenn die Finanzierung abgeschlossen ist, weil Kinder sich in diesem Alter so rasch verändern und ganz schnell im für uns falschen Alter sind. Wir werden dann recht schnell sein müssen und ich bin schon sehr gespannt, wen wir finden werden. Die Besetzung wird den Film ja noch einmal grundlegend formen. Wir brauchen ein Mädchen zwischen zwölf und dreizehn, ein Junge zwischen 13 und 14 und dann brauchen wir eine Jugendliche mit Down-Syndrom, die zwischen 15 bis Anfang 20 ist. Und eine kleine, inklusive Schulklasse.
Wie stellen Sie sich die Vorbereitungsarbeit mit Ihren jungen Darsteller:innen vor?
JOHANNA LIETHA: Zuerst muss man individuell schauen, wer sie sind und was sie brauchen. Ich möchte nicht jetzt schon meine konkreten Vorstellungen über sie drüberstülpen. In Bezug auf Charakter werden sie nahe an sich selbst bleiben dürfen – da ist das Casting relevant – mir ist es allerdings wichtig, dass sie emotional gut vorbereitet sind und wichtige Teile der jeweiligen Vorgeschichte der Figur im System haben. Das heißt, ich möchte sie während der Proben-Phase mittels improvisatorischen Übungen Situationen aus ihren jeweiligen Vorgeschichten erleben lassen, sodass sie beim Dreh darauf aufbauend spielen können. Das hat sich auch in meinem vorherigen Film Lovecut bewährt, dass nicht nur theoretisch der Input erfolgt „Deine Figur hat das und das erlebt“, sondern dass sie es selbst erlebt haben und so bewusst wie unbewusst darauf zurückgreifen können. Zusätzlich möchte ich sie zum Bewusstsein führen, dass es keine Fehler gibt und dass die Freude am Spiel im Vordergrund steht. Dafür ist es sehr wichtig, dass sie ihre Spielpartner:innen und auch mich vor dem Dreh gut kennenlernen und Vertrauen zu ihnen und zu mir aufbauen können.
Wo werden Sie drehen?
JOHANNA LIETHA: Eine Woche werden wir in der Schweiz drehen, dann in Wien. Hier drehen wir hauptsächlich am Stadtrand. Sehr gerne würden wir am Donaufeld drehen, das ist ein großes, unbebautes Gebiet, wo es Gewächshäuser gibt, teilweise auch schon verlassene Gewächshäuser, viel Grün, dahinter die Stadt. Es ist sehr schön und cinematisch dort. Ein Ort, wo Kinder fast wie auf dem Land ihre geheimen Rückzugsorte haben können. Leider gibt es schon viele Baupläne, die sich zum Glück in die Länge ziehen. Wir hoffen sehr, dass es die Location, die wir gefunden haben, dann noch gibt. Es ist ein sehr besonderes, ein bisschen anderes Wien noch.
Im Regiekonzept erwähnen Sie, dass sie mit Handkamera arbeiten werden. Mit wem werden Sie zusammenarbeiten?
JOHANNA LIETHA: Die Kamera wird Marie-Thérèse Zumtobel machen, ich bewundere ihre empathische und präsente Beobachtungsgabe. Sie hat u.a. die Kamera für Die unsichtbare Grenze gemacht, der den Student-Oscar gewonnen hat. Auch ihre dokumentarische Kameraarbeit spricht mich sehr an. Für Handkamera haben wir uns deshalb entschieden, weil wir sehr nahe an der Hauptfigur dran sein und das Ganze stark aus ihrer Perspektive erzählen wollen, sowohl im Ton als auch mit den Bildern. Ich möchte, dass man mit ihr mitgehen und mitfühlen kann und keinesfalls einen polierten Kinderfilm machen. Zu viel Form würde vom Inhalt und der Emotion ablenken und eine Künstlichkeit erzeugen, die ich nicht mag. Kinder stört es gar nicht, wenn es nicht poliert ist. Es sind vielmehr Erwachsene, die glauben, für Kinder diese Glätte erzeugen zu müssen. Wir wissen außerdem, dass wir für unser Drehpensum nicht sehr viele Drehtage haben, d.h. auch, wir müssen schnell und mobil sein. Es wird keine Zeit für extensive Technik geben. Ich glaube, dass dieser Stil unserer Geschichte sehr zugute kommen wird.
Interview: Karin Schiefer
Juli 2025