Im Gespräch mit Johanna Moder
“Ich fühlte mich nach der Geburt meiner Tochter wie in eine außerirdische Sphäre katapultiert.”
In Julias Leben läuft alles rund. Es fehlt nur ein Kind zum vollkommenen Sein. Doch die Geburt ist kompliziert und statt von der erwarteten Erfüllung wird Julia als Mutter von einem wachsenden Unbehagen erfasst, das niemand verstehen und keiner mit ihr teilen will. Johanna Moders neues Projekt MUTTERGLÜCK ist ein Thriller, zu dem sie eigene Erfahrungen und viele Gedanken zum tabuisierten wie verklärten Umgang mit Geburt und Mutter-Sein inspiriert haben.
Der Titel MUTTERGLÜCK konfrontiert uns mit einem viel, manchmal unreflektiert gebrauchten, auf alle Fälle auch klischeebehafteten Wort, das als Filmtitel so klingt, als wäre der Begriff in Frage zu stellen.
JOHANNA MODER: Wenn in unserer Gesellschaft eine Frau Mutter wird, wird ihr plötzlich etwas übergestülpt. Zuvor war sie eine Frau mit einem Namen, plötzlich ist sie die „Mama“. Für mich war es eine sehr krasse Umstellung – von der Identität zur Funktion. Es herrscht eine klare Vorstellung von dem, wie sich eine Mutter zu verhalten hat und welche Gefühle sie ihrem Kind gegenüber aufbringen muss. Die Sehnsucht nach der Mutterfigur ist allgegenwärtig, jede*r hat eine Mutter (gehabt), vielleicht liegt darin eine Erklärung, weshalb die Frau als Mutter all diese Erwartungen und Assoziationen verkörpern soll. Ich habe den Wechsel zum Mutter-Sein als irre erlebt. Man ist davor ein Mensch mit vielen Bedürfnissen, Egoismus und Ansprüchen auf das eigene Leben. Mit einem Schlag soll das alles in den Hintergrund und die „Caring-Position“ in den Vordergrund rücken. In Österreich tickt die Gesellschaft immer noch so, dass dies vorrangig von der Frau übernommen werden soll.
Mit dem Mutter-Sein assoziiert sich auch ein quasi automatisierter Glücksbegriff. Sie erzählen in Ihrem Regiestatement die Geburtserfahrung Ihres ersten Kindes als ein Horrorereignis und auch davon, wie das Ereignis Geburt mit Tabus belegt ist und individuelle negative Erfahrungen kaum weitergegeben werden. Will der Film etwas ansprechen, was selten ausgesprochen wird?
JOHANNA MODER: Die Horrorgeschichten von Geburten bekommt man erst erzählt, wenn man schwanger ist oder wenn man selbst eine Horrorgeburt erlebt hat. Dann beginnen Menschen sich plötzlich zu öffnen und ungeahnte Dinge zu erzählen. Da erscheint mein erstes Fragezeichen: Warum wird das nicht mehr geteilt? Es ist gerade ein Wandel im Gange, insofern als Frauen in sozialen Medien über ihre Fehlgeburten, ihre Babys, die gestorben sind, und ähnliche Erfahrungen sprechen. Spannend ist, wie sehr diese Themen in den sozialen Medien auf enormes Echo stoßen, im direkten Miteinander aber ein Tabu-Thema bleiben. Ich habe bis jetzt noch nicht verstanden, warum es so ein Geheimnis ist.
Auch mit dem Thema Geburt wird ja in erster Linie ein Glücks-Konzept transportiert.
JOHANNA MODER: Der Kapitalismus hat auch die Geburt für sich entdeckt: Ein weiterer Markt, auf dem sehr viel zu holen ist. Das Betreten eines Babygeschäfts kommt ja einem Wolkenerlebnis gleich, am liebsten würde man selber dort einziehen. Es wird einem der Eindruck vermittelt, dass die Welt in Ordnung ist und ein Gefühl verkauft, dass man, wenn man ein Kind zur Welt bringt, wie in eine Wolke gehüllt sein wird, in der man von der übrigen Welt abgeschottet und in der alles perfekt ist. Eine Art Traumvorstellung. Interessanterweise hat das genau gar nichts mit der Realität zu tun. Wo beginnt diese falsche Erzählung? Eigentlich sollten Schmerz und Blut, Schlaflosigkeit und Erschöpfung die Erzählung sein.
Sie greifen zum einen auf Ihre eigenen Erfahrungen zurück. Haben Sie auch mit anderen Müttern gesprochen und ist in Ihr Drehbuch auch viel an Fremderlebnissen eingeflossen?
JOHANNA MODER: Recherchiert wie bei den anderen Filmen habe ich eher nicht. Die meisten meiner Figuren haben ein reales Vorbild und es kommen sehr viele Orte vor, an die ich selbst im Laufe unserer Geschichte gekommen bin. Für mich ist es eine sehr persönliche Geschichte, obwohl es im Konkreten nichts mit meiner eigenen Erfahrung zu tun hat. In MUTTERGLÜCK geht es um eine Frau, die nach einer traumatischen Geburt ihres ersten Kindes das Gefühl hat, dass irgendetwas mit dem Baby nicht stimmt. Und je mehr sie sich auf dieses Gefühl versteift, umso mehr wird ihr von ihrem Umfeld suggeriert, dass sie selbst das Problem sei. Denn sie ist nicht in der Lage, glücklich zu sein, dass sie endlich Mutter geworden ist.
War die Entscheidung, punkto Genre einen science-fiction-artigen Thriller zu entwickeln und für das Drehbuch mit einem männlichen Ko-Autor zu arbeiten, auch eine Strategie, eine gewisse Distanz aufrecht zu erhalten?
JOHANNA MODER: Dass ich mit Arne Kohlweyer als Koautor geschrieben habe, war eine sehr bewusste Entscheidung, um mir sagen zu können: „Ich entkopple es von mir selbst, weil es mir zu nahe ist.“ Ich brauchte jemanden, der die Geschichte fiktional erzählen konnte. Arne hat mein Treatment übernommen und in eine Drehbuchfassung gebracht. Das Drehbuch habe ich dann nicht mehr angegriffen. Das kommt vielleicht noch vor dem Dreh. Bis jetzt habe ich es von mir ferngehalten.
Was hat Sie zur Genre-Erzählung bewogen?
JOHANNA MODER: Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass man es nur so erzählen konnte. Ich fühlte mich nach der Geburt meiner Tochter wie in eine außerirdische Sphäre katapultiert, als wäre ich auf einem anderen Planeten gelandet. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl verrückt zu werden und wusste, dass ich wieder den Weg in die Realität zurückfinden musste. Dieses Gefühl hatte ich zuvor nicht gekannt. Es war für mich ein so epochales und einschneidendes Erlebnis, dass klar war, dass ich mich genau diesem Gefühl widmen wollte.
Ein weiteres starkes Gefühl, das vom Drehbuch vermittelt wird, ist das Alleingelassen-Sein, das die Hauptfigur erlebt. Sobald die Dinge nicht der Norm entsprechend verlaufen, wird es für die betroffene Mutter schwer, in ihrer Ganzheit solidarisch oder in ihrer Befindlichkeit empathisch wahrgenommen zu werden. Alle wenden sich von ihr ab, selbst die nächsten Angehörigen.
JOHANNA MODER: Bei diesem Drehbuch hatte ich im Gegensatz zu anderen Büchern, die man bauen und umbauen konnte, das Gefühl, dass es sich wie ein Wasserfall heruntergestürzt hat. Es ist ein anderer Zustand und für mich eine andere Herangehensweise. Auch bei meinem Treffen mit den Darsteller*innen war es so, dass ich letztlich nicht konkret über die Gefühle der Figuren sprechen wollte, als hätte ich noch immer Angst davor, zu tief in etwas einzutauchen. Das wird sich sicherlich im Laufe des weiteren Arbeitsprozesses ändern, aber zur Zeit versuche ich es noch ein wenig von mir wegzuhalten. Nicht mehr als die wahrgenommen zu werden, als die man gewohnt war, wahrgenommen zu werden, davon erzählt dieses zentrale Gefühl, um das es mir geht.
Sie stellen auch die ganz allgemeine Frage nach dem Kinderwunsch. Die Sehnsucht nach Mutterschaft oder auch das Gefühl, sie erfüllen zu müssen. Es geht um das eigene Streben nach Komplettheit, es spielen aber auch familiäre und soziale Erwartungen eine Rolle, die man erfüllen möchte oder glaubt, erfüllen zu müssen.
JOHANNA MODER: Man hat so sein gutes Leben und meint, das Einzige, was zum vollkommenen Glück fehlt, ist das Kind, weil man annimmt, dass dann die Erfüllung eintritt. Eine Erwartungshaltung, mit der sich jede*r auseinandersetzen muss, wenn die Realität eintritt, nämlich, dass ein neuer Mensch hier ist. Wie man dann das neue Konstrukt Familie am besten löst, damit kämpfen die allermeisten. Dazu kommt noch die Erfüllung der Rolle als Frau, ein Kind zur Welt zu bringen und – was auch ein Thema ist – , das Verschwinden der Frau ab 45 aus dem öffentlichen Raum, dann, wenn mit den Wechseljahren ihre Fruchtbarkeit geendet hat. Ich bewundere Frauen, die bewusst entscheiden, keine Kinder zu bekommen und das auch durchziehen. Das ist eine starke Entscheidung gegen einen gesellschaftlichen Druck, der sich mit Hormonen vermischt, die eine so starke Sehnsucht erwecken können, dass man das Gefühl hat, ihr unbedingt nachgeben zu müssen.
Julia, Ihre Hauptfigur, hat sich als Dirigentin in einem besonders männlich dominierten Beruf durchgesetzt und sieht sich als Mutter sehr schnell aus dem erreichten Status hinauskatapultiert. Wie sehr war auch die Frage der beruflichen Konsequenzen von Mutterschaft ein Thema?
JOHANNA MODER: Diese Erfahrung habe ich persönlich nicht gemacht. Beim Beruf der Dirigentin ist es nochmals schwieriger als in der Filmwelt. Es gibt nur wenige Frauen, die weltweit in dieser Funktion tätig sind. Es ging mir darum, einen Beruf zu finden, in dem Erfolg nur mit einer sehr großen Leidenschaft möglich ist. Im Drehbuch war es so, dass jemand anders für sie einspringt. Das hat eine Logik. Wenn man nicht präsent ist, gibt es genug andere, die in diese Position wollen.
Das wirft auf ein „Entweder/Oder“ zurück, das kaum überwunden zu sein scheint.
JOHANNA MODER: Vor allem wird es darum gehen, ob man in einer Partnerschaft eine echte Aufteilung 50:50 hat und man sich einander unterstützt. Wenn man das nicht hat, ist man in diesen ersten Jahren verloren. Ich habe eine sehr gleichberechtigte Beziehung und auch nicht das Gefühl, dass ich aus dem Beruf gefallen bin, im Gegenteil. Viele Frauen entscheiden sich für Teilzeitlösungen. Ich will in keinster Weise verurteilen, wenn sich jemand entscheidet, zu Hause zu sein. Ich persönlich kann nur sagen, dass ich Kinderbetreuung als wahnsinnig langweilig erlebe. Ich widme mich dem gerne eine gewisse Zeit, ich kann auch sagen, dass ich meine Kinder abgöttisch liebe, aber ich finde die Kinderbetreuung wahnsinnig fad. Das ist auch mir selbst gegenüber eine schwierige Feststellung, denn es macht mir auch ein schlechtes Gewissen, es so zu erleben.
Haben Sie sich damit auseinandergesetzt, wie im fiktionalen Erzählen Geburt dargestellt wird?
JOHANNA MODER: Aus meiner Filmerfahrung kenne ich es meistens so, dass man eine Frau aus dem Off schreien hört und dann hat sie das Baby in den Armen. Der eigentliche Vorgang ist komplett ausgespart. Dadurch, dass man bei Geburten von anderen kaum dabei ist, ist der Geburtsvorgang etwas, das vom Blick von außen ausgeschlossen ist. Ich war bei meiner zweiten Geburt vier Wochen davor und noch eine Woche danach im AKH auf dieser Risiko-Station, wo besonders schwere Fälle aufgenommen werden. Was Geburten betrifft, habe ich in dieser Zeit einen Blumenstrauß an schlimmsten Erfahrungen gesammelt. Mittlerweile weiß ich, was alles passieren kann, sodass es für mich ein Wunder darstellt, wenn man ein Kind so zur Welt bringt, wie es in den meisten Filmen dargestellt wird. Im AKH erlebt man, wie das Leben nur an einem seidenen Faden hängt. Meine zweite Geburt fand während Corona statt, ich konnte nicht besucht werden und so habe ich mich für einige Wochen wie auf einem eigenen Planeten aufgehalten. Es hat mir einen Einblick gewährt, den man kaum bekommt. Umso interessanter, dass so wenig davon erzählt wird. Ich wusste nicht, dass es im Wilhelminenspital eine Station gibt, wo Mütter mit ihren Babys sind, die mit der Situation überfordert sind. Auch das erzählt einem niemand. Bei den wenigsten Frauen ist es so, dass vom ersten Tag an eine tolle Verbindung zwischen Kind und Mutter herrscht und die Mutterliebe fließt. Eine Freundin von mir ist am Tag der Geburt mit dem Taxi zur Therapeutin gefahren. Man muss sich Wissen zusammentragen, um irgendwie zu erfahren, was einen erwartet, viele Infos werden einem vorenthalten. Ich verstehe das nicht. Es gibt wohl viele Punkte, die mit Scham belegt sind. Auch dass man nach der Geburt so lange blutet. In der Instagram-Welt erlebt man Hollywood-Stars oder die Royals, die sich ganz schnell mit ihrem neugeborenen Kind präsentieren, als wäre alles sofort wiederhergestellt. Wenn Kathe einen Tag nach der Geburt schick gekleidet mit dem Baby posiert, damit die königliche Familie vermarktet werden kann, dann frage ich mich, wie es ihr wohl körperlich gehen muss.
Die Protagonistin in MUTTERGLÜCK ist künstlerisch erfolgreich und sehr wohl situiert: das Kind kommt in einer Privatklinik zur Welt, die Ausstattung ist perfekt vorbereitet. Ist es auch Teil der Geschichte, dass im Kapitalismus alles kaufbar scheint und letztlich doch nicht ist?
JOHANNA MODER: Ich wollte nicht, dass eine schwierige finanzielle Situation zum zusätzlichen Thema wird; das hätte eine weitere Dimension aufgemacht. Menschen, die genug Geld haben, zaubern sich eine verklärte Welt ins Kinderzimmer. In Familien, wo wenig Geld da ist, gibt es für ein neu angekommenes Kind einen pragmatischeren Zugang. Ein Kind wird oft wie einen Pokal durchs Leben getragen, weil es das perfekte Leben noch einmal perfekter macht. Wenn man mit einem besonders hübschen Kind durch die Straßen spaziert und von allen angelächelt wird, dann kann man sich kurz mal total gut fühlen und sich sagen: „Ich habe alles richtig gemacht. Ich habe die Gesellschaft mit Nachwuchs beschenkt und jetzt kann ich mich gut fühlen, weil ich meiner Funktion nachgekommen bin.“ Das ist irgendwie in uns allen drinnen.
Es geht in MUTTERGLÜCK viel um Tabuisierungen um das Ereignis Geburt, ums Kinderkriegen allgemein und ums Mutter-Sein. Liegt eine Intention dieses Films auch darin, Frauen ein Ventil zu öffnen, das erlaubt zu sagen: „Endlich darf man das mal laut aussprechen.“
JOHANNA MODER: Da bin ich mir nicht so sicher. Ich hatte bei meinen letzten Filmen High Performance und Waren einmal Revoluzzer einen gesellschaftspolitischen Anspruch. Ich wollte etwas hinausposaunen, hatte aber das Gefühl, dass es bei den Menschen nie so angekommen ist, wie ich es mir gedacht hatte. Mit MUTTERGLÜCK habe ich ein sehr persönliches Bedürfnis, diese Geschichte zu erzählen, erfüllt. Wie sie angenommen wird, ist den Betrachter*innen selbst überlassen. Ich habe eine sehr extreme Geburtserfahrung gemacht und weiß, dass diese Erlebnisse mit niemandem teilbar sind. Das kann man nicht auf eine universelle Ebene heben. Teil dieser Erfahrung war auch, dass ich nicht einfach eine Freundin anrufen konnte, um zu sagen, bei uns ist es gerade so, wie ist es bei dir? Wir waren in einer Ausnahmesituation, für die es keinen Vergleich gab. Das erzeugt ein Gefühl von Einsamkeit, auch wenn ich nicht sagen kann, dass wir einsam waren. Wir hatten nie das Gefühl, bei jemandem andocken zu können. Selbst von Therapeut*innen haben wir gehört, sie wissen nicht, ob sie uns in so einer Situation helfen können. Wir waren kein alltägliches Gegenüber.
Hat es Ihnen gut getan, die Geschichte zu schreiben?
JOHANNA MODER: Gut getan hat, das könnte ich jetzt nicht sagen. Es hat insofern geholfen, als es sehr emotionalisierte Dinge verschoben hat. Es musste hinaus, sagen wir so.
Karin Schiefer
Oktober 2022