Im Gespräch mit Brigitte Weich
“Das Alltäglichste zu Gesicht zu bekommen, ist das Undenkbarste.”
Der Besuch des Pjöngjang Filmfestivals 2002 war für Brigitte Weich eine Reise mit Folgen. Erstmals verspürte sie die Wucht der dortigen Diktatur aus der Nähe, erstmals hörte sie von der Power des nordkoreanischen Frauenfußballteams, mit dem sie nunmehr eine 20-jährige Geschichte verbindet. Ihr zweiter Film ... NED, TASSOT, YOSSOT … ist der unermüdliche Versuch, über unsichtbare Mauern und Schranken die Verbindung zu ihren Protagonistinnen aus Hana, dul, sed … (2009) wieder aufzunehmen und an ihre Lebensgeschichten nach dem Zenit in deren sportlicher Karriere anzuknüpfen.
Hana, dul, sed … war Ihr erster Dokumentarfilm über Frauenfußball in Nordkorea, den Sie 2009 fertiggestellt haben. Er feierte seine Weltpremiere in Locarno und gewann später den Großen Diagonalepreis. Für Leser:innen, die diesen Film, der in direktem Zusammenhang mit … ned, tassot, yossot … steht, nicht kennen – kurz einige Punkte, wie Sie mit diesem Thema in Berührung gekommen sind und daraus ein Filmprojekt entstanden ist.
BRIGITTE WEICH: Hana, dul, sed … war mein erster Film, der vielen Zufällen zu verdanken ist. Ich hatte jedenfalls nie geplant, einen Film zu machen. Ich habe 2002 das Pjöngjang Filmfestival besucht, in dem Jahr, als Michael Glawoggers Frankreich, wir kommen dort lief. Das Festival diente eher als Vorwand für die Gelegenheit, ein Land zu bereisen, das völlig unzugänglich war. Was ich dort gesehen habe, war verstörend: Nordkorea ist ein extrem totalitärer Überwachungsstaat, wo man sich als reisende Person in keiner Weise frei bewegen konnte und es sah dort ganz anders aus: keine Cafés, keine Restaurants, keine globalen Marken oder Supermärkte, keine Werbung, kein Autoverkehr und damals nicht einmal Handys. Hingegen jede Menge Plakate, Statuen und Murals mit Darstellungen der beiden Führer – Kim Il Sung, der verstorbene Staatsgründer und sein Sohn Kim Jong Il, der damals an der Macht war. Mein Interesse galt zunächst dem Land, es fesselt mich bis heute die Frage, wie dieses Land so werden konnte, wie es ist und wie man unter solchen Umständen leben kann.
Wie kam es unter diesen Eindrücken zur Begegnung mit dem Frauenfußball?
BRIGITTE WEICH: Beim Pjöngjang Filmfestival lief ein weiterer Fußballfilm über das nordkoreanische Männerteam. Es war unter den Akkreditierten viel über Fußball die Rede und so erfuhr ich, dass das damalige nordkoreanische Frauenteam gerade sehr erfolgreich und Asienmeister war. Zunächst war mein Interesse deshalb entfacht, weil ich »echte Menschen« sehen wollte, die man als Touristin sonst nicht zu Gesicht bekommt. Ich hätte gerne während dieses ersten Aufenthalts ein Fußballmatch gesehen, ein Ding der Unmöglichkeit, wie ich mit der Zeit gelernt habe, da das Alltäglichste zu Gesicht zu bekommen, das Undenkbarste ist. Eher leichtfertig sagte ich dann, über diese Fußballerinnen sollte jemand einen Film machen… und damit begann eine lange Geschichte. Die Leute dort sind auf die Idee aufgesprungen, haben mich dann in Wien kontaktiert; ich versuchte jemanden zu finden, der:die den Film machen könnte, weil ich ja selbst keine Filmemacherin war. Einige Monate später, 2003, fanden die Asiatischen Meisterschaften in Bangkok statt und ich beschloss, dorthin zu fahren und mir die nordkoreanischen Fußballerinnen mal anzuschauen. Kamerafrau Judith Benedikt war damals schon dabei: Ich habe sie über Empfehlung kontaktiert, erstmals getroffen haben wir uns im Hostel in Bangkok, haben das nordkoreanische Team bei allen Spielen und Trainings mit der Kamera verfolgt, soweit es halt möglich war, da die Truppe auch im Ausland zunächst sehr misstrauisch und abgeschottet war. Da wir aber jeden Tag da standen, wo immer die Spielerinnen auftauchten, hat man langsam begonnen sich zu grüßen. Und wir waren am Ende so hingerissen von den Spielerinnen, dass wir uns sagten, wir machen das, egal wie. Ich habe in der Folge eine Produktionsfirma gegründet und begonnen, um Förderungen einzureichen.
Der Film kam dann 2009 in die Verwertung. Mit Menschen in einem Land, mit dem es keine Kommunikationsmöglichkeiten gibt, ist es auch schwer, die entstandenen Beziehungen weiterzuführen. Wie wurde die Idee wach, nochmals zurückzukehren und einen zweiten Film zu machen?
BRIGITTE WEICH: Ich wusste, dass ich meine Protagonistinnen nur dann in Nordkorea besuchen konnte, wenn mir ein Projekt einen Grund dafür bot. Ich war zuletzt 2018 als Touristin dort, weil sich die Finanzierung des zweiten Films als sehr lang und schwierig erwiesen hat und ich den Kontakt zum Land aufrechterhalten wollte. Mein Hotelzimmer schaute auf das Stadion, wo wir mit Ra Mi Ae, der kleinen Verteidigerin aus Hana dul sed …, die Coach geworden war, gedreht haben. Ich wurde jeden Morgen von den Stimmen der trainierenden Fußballerinnen geweckt, aber es war in den drei Wochen, die ich dort war, nicht möglich, sie persönlich zu treffen. Nordkoreaner:innen dürfen mit Menschen aus dem Ausland keinen Kontakt haben, sie sprechen kein Englisch, ich kein Koreanisch, und ich darf mich in Pjöngjang nicht frei bewegen. Es brauchte also ein Projekt. Wir haben für Hana dul sed … zwischen 2003 und 2007 gedreht, und schon damals haben Judith und ich gelegentlich darüber phantasiert, wie wir, wenn das totalitäre System ein Ende finden würde, eine Fortsetzung drehen, und die Spielerinnen fragen würden, was sie sich wirklich gedacht haben, wie ihr Leben wirklich ausgesehen hat. 2011 ist Kim Jong Il gestorben. Bereits bei meiner ersten Nordkoreareise hatte ich den Gedanken, dass das anachronistische System keinen weiteren Generationenwechsel überdauern würde. Eine Misskalkulation, wie sich herausstellte. Dennoch war der Tod von Kim Jong Il spontan ein Anlass, wieder nach Nordkorea zu fahren, um selbst zu sehen, wie sich das im Land auswirkte.
Stand damals bereits ein Konzept für einen zweiten Film fest?
BRIGITTE WEICH: Sehr gute Frage (lacht!), denn es war eher eine ziemlich komplexe Gemengelage, die uns nun bis in den Schneideraum quält. Ein Antrieb war, wenn auch vielleicht unbewusst, dass ich Hana, dul, sed … meinen Protagonistinnen in einer schönen Projektion zeigen wollte, wofür – da sie praktisch das Land nicht verlassen dürfen – eigentlich das Pjöngjang Filmfestival die einzige Möglichkeit war. Aber beim Regime war der Film nicht wirklich auf Wohlwollen gestoßen, und so hat ihn das Festival nicht eingeladen. In meinem Drehkonzept für … ned, tassot, yossot … hatte ich eine Kinovorführung im schönsten Kino der Stadt eingeplant. Und so bin ich mit einer 35 mm-Kopie nach Pjöngjang gereist. Ein weiterer Anknüpfungspunkt war eine nordkoreanische TV-Serie mit dem Titel Unser Frauenfußballteam, eine fiktionale Mini-Serie, an der unsere Protagonistinnen als Beraterinnen in den Fußballszenen mitgewirkt haben, die Figuren im Film haben Namen, die an die der echten Spielerinnen angelehnt sind und sie haben, quasi als „Stunt-Frauen“, die Fußballszenen gespielt. Ich fand das besonders kurios, zumal ich gehört hatte, dass die Serie eine weibliche Regisseurin hatte, die einzige in ganz Nordkorea. Es haben also mehrere Faktoren dieses neue Projekt bestimmt.
Wie ist das Bildmaterial unter den schwierigen Drehbedingungen entstanden?
BRIGITTE WEICH: Wir hatten mit einer Projektentwicklungsförderung vom ÖFI ein sehr schmales Budget, damit sind wir – Judith Benedikt (Kamera), Cordula Thym (Ton) und ich – zu einer Recherchereise aufgebrochen, um zu sehen, was unter den gegebenen Umständen machbar wäre. Es standen uns nur einige Tage zur Verfügung. Dazu kam, dass unser Aufenthalt in die Trauerfeierlichkeiten, die 100 Tage nach dem Tod von Kim Jong Il stattfanden, zusammenfiel. Am Tag der Feier durften wir das Hotel gar nicht verlassen, Menschenmassen strömten seit den frühen Morgenstunden durch die Straßen zum Kim Il Sung-Platz. Zwei Totalen von den „Ameisenkolonnen“, die wir aus unserem Hotelfenster drehen konnten, werden wohl im Film landen. Wir waren eine knappe Woche dort, haben alle vier Protagonistinnen wiedersehen können, mussten aber auf diesen einen Drehtag verzichten und mit sehr wenig Ressourcen ein Maximum herausholen. Ich hab mich bemüht aus der Not eine Tugend zu machen, und aus dem wenigen, das wir dennoch einfangen konnten, einen kleinen, spontanen Film zu realisieren, der der Größenordnung des Budgets entspricht; bei so einer Destination ist es nicht möglich, weitere Drehs schnell mal aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Die Reise ist teuer und man muss Gebühren für die Services vor Ort entrichten. Ich habe das vorhandene Material dann mal selbst geschnitten und mir Feedback von befreundeten Editor:innen geholt, die mich ermutigt haben. Dann kam Corona und ab Herbst 2019 war das Land komplett zu. Selbst die (wenigen) im Ausland lebenden Nordkoreaner:innen, durften erst vor wenigen Monaten wieder zurück in ihr Land.
Stand damit fest, dass der Film mit dem vorhandenen Material dieses ersten Drehs auskommen musste?
BRIGITTE WEICH: Erneut eine gewisse Gemengelage: Ich bin schon für Hana, dul, sed … mit einem Rohschnitt hingefahren, um vor Ort abzuklären, ob der Film problematische Stellen beinhaltete. Ich wollte sichergehen, dass niemand nachteilige Konsequenzen riskierte, weil mir Dinge erzählt oder ermöglicht worden waren. Das wollte ich mit … ned, tassot, yossot … auch tun. Wir waren schon in Reisevorbereitungen, obwohl es noch immer keine Förderungen gab, und meine Hoffnung war, dass Judith mitkommen würde, um für einen Epilog Bilder einzufangen, die die Spielerinnen diese zehn Jahre später zeigen. Dem hat Covid dann einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und wir standen vor der Frage, wie wir an aktuelles Material herankommen könnten. Die Idee eines Zoom-Interviews – das Bild der ersten Lockdown-Phasen – musste gleich wieder verworfen werden, weil es in Nordkorea kein offenes Internet gibt. Größere Dateien zu schicken, geht nur sehr umständlich und teuer über einen nordkoreanischen Server. Inzwischen haben die Menschen zwar immerhin Handys, die funktionieren allerdings nur innerhalb Nordkoreas. Eine weitere Option wären kleine, mit diesen Handys gefilmte Videobotschaften gewesen. Auch das erwies sich als No-Go. Und so baten wir unsere nordkoreanische Partnerin, für uns einen Dreh abzuwickeln. Mit meiner Kontaktperson habe ich von hier aus die Dinge organisiert: Wir haben Drehpläne hingeschickt, diskutiert, wie das aussehen könnte. Mit allen Verzögerungen verging gut ein Jahr – die Coronamaßnahmen im Land haben alles nochmals erschwert – und dann kam unerwartet ein endgültiges Nein. Darauf kam mein obligatorisches Keep trying und schließlich wurde mir doch eine letzte Möglichkeit in Aussicht gestellt – nämlich, dass das nordkoreanische Fernsehen in irgendeiner Weise die Fußballerinnen drehen, und dabei auch für uns Material abfallen würde. Inzwischen war klar, dass wir nur darauf warten konnten, was kommt, ohne Einfluss darauf nehmen zu können. Was schließlich über den ftp-Server auf meine Festplatte herunterrechnete, war eine kleine Doku des nordkoreanischen Zentralfernsehens über seinen Frauenfußball, u.a. über unsere vier Protagonistinnen, die als Volksheldinnen und Vorbilder gelten. Wir hatten uns schon damit abgefunden, den Film ohne dieses Material fertigzustellen, da kamen diese Bilder mit pathetischer Propagandasprache und -musik. Meine erste Reaktion war – unverwendbar. Wir haben dann um das Rohmaterial gebeten, um vielleicht doch noch irgendetwas damit anfangen zu können, was wieder megakompliziert war und … Barbara Seidler, die zweite Editorin neben Mona Willi, hat schließlich einen Epilog daraus gezaubert, der einen Blick ins Heute wirft.
Dreharbeiten 2012, zähes Ringen um Bilder: Das Projekt hat eine elfjährige Geschichte in einem schwierigen Land mit einem schwierigen Thema. Wie schafft man das durchzuhalten? Warum bleibt man dran?
BRIGITTE WEICH: Ich glaube, Kunst kommt bei mir von müssen. Manchmal denke ich mir schon, dass es „crazy“ ist, so unendlich viel Zeit mit so einem winzigen Projekt zu verbringen. Ich bin eigentlich seit zwanzig Jahren da dran und es galt permanent, irgendetwas zu lösen – seien es Förderungen, seien es die unfassbar mühsamen Rechte an den Archiv-Ausschnitten der großen internationalen Matches. Und Nordkorea tut den Rest dazu, dass man immer wieder vor scheinbar unüberwindlichen Hürden steht. Aber das Thema hat mich im Bann gehalten und ich hatte nie das Gefühl, eine Wahl zu haben. Vielleicht gehört eine persönliche Sturheit dazu, dass ich angefangene Dinge unbedingt abschließen will. Dazu kam das positive Feedback von verschiedenen Leuten, das interessante Material in eine Form zu bringen, die anderen etwas erzählt. Das bisherige Feedback betont, wie außergewöhnlich es ist, aus so einer Perspektive – jener dieser vier bezaubernden Frauen – aus so einem Land eine Erzählung zu bekommen. Ich glaube, das ist es auch, was mich so fasziniert.
War diese lange Arbeit auch eine Chance, filmisch eine Terra Incognita zu erkunden, von der es noch keine Bilder in unseren Köpfen gibt?
BRIGITTE WEICH: Ich bin überhaupt kein Bildermensch. Ich mache nicht einmal Fotos, wenn ich auf Urlaub bin. Ein Fotoapparat hindert mich an der Wahrnehmung von Stimmungen, Umgebungen und Menschen. Gleichzeitig war der Anblick dieses Ortes für mich ebenso befremdlich wie faszinierend. Und so war es wunderbar, eine Kamerafrau dabei zu haben. Judith hat beim ersten Film sehr gelitten, weil es verboten ist, Propagandabilder, -sprüche und -statuen auch nur irgendwie beeinträchtigt durch Schatten, Spiegelungen, Oberleitungen, oder angeschnitten oder sonst wie „unperfekt“ abzubilden, und so war es fast unmöglich, von Pjöngjang überhaupt ein Bild zu machen, da die Stadt voll ist mit diesem „Mobiliar“. Für … ned, tassot, yossot … wollten wir versuchen „unrepräsentativer“ zu filmen, mehr aus der Hand beiläufige Situationen einzufangen, wie wir sie immer wieder beim Dreh erleben. Es passte auch zur Kleinheit des zeitlichen und finanziellen Rahmens, dass der Film eine kleinere optische Dimension haben sollte als sein Vorgänger. Mein Ansatz ist, den Dingen auf die Spur zu kommen: der Weltgeschichte, dem Land, seiner Entstehung, den Menschen dort und wie sie ihren Alltag meistern. Bei meinen vier Protagonistinnen ist das ein Stück weit gelungen – und das ist es vielleicht, was das Material so besonders macht – es gibt, auch wenn man aus noch so unterschiedlichen Kulturen, politischen Systemen, entfernten Kontinenten kommt, eine Gesprächsbasis. Es gibt Erfahrungen, die wir – möglicherweise in diesem Fall als Frauen – miteinander teilen. Darüber wurde es möglich, diese Terra Incognita zu fassen, ihr das Beängstigende zu nehmen. Würde ich in Nordkorea stranden, weiß ich, dass – so wild der Ort und das politische System auch sein mögen –, es dort Menschen gibt, die mir eine Tasse Tee oder Reis geben würden.
Interview: Karin Schiefer
Jänner 2023