Vor allem durch seine kritischen, aufrüttelnden und gesellschaftspolitisch brisanten Dokumentarfilme hat sich der Wiener Regisseur und Autor Werner Boote international einen Namen gemacht. Globale Missstände und Fehlentwicklungen, investigativ beleuchtet und gleichzeitig von einer zugänglichen Darstellungsweise geprägt – mit diesem besonderen Mix hat der Filmemacher seinen eigenen Stil gefunden und mit preisgekörnten Arbeiten wie PLASTIC PLANET (2009), Alles unter Kontrolle (2015) und The Green Lie (2018) etabliert.

Im Uhrzeigersinn von links nach rechts: Werner Boote, Maja Zechner MAS (Head of Research), Dr. Daniela Ingruber (Demokratieforscherin), Dr. Ursula Theuretzbacher (Mikrobiologin), Konrad Sulzmann (Regiassistent), Ing. Sebastian Pichelhofer (BOKU Wien), Sebastian Postl (Leiter des Lehrganges BOKUdoku) Wien, Luca Pályi BA (Theaterwissenschaftlerin).

 

Mit ÖFI Unterstützung, arbeitet Werner Boote aktuell an seinem jüngsten Werk mit dem Titel MÜSSEN WIR ALLE STERBEN, in dem er die bisherigen fünf großen Artensterben seit der Entstehung von Leben auf der Erde vor 541 Millionen Jahren beleuchtet und die entscheidende Frage stellt, ob das sechste Massensterben womöglich schon im Gange ist. Die Dreharbeiten, die Boote mit seinem Team von Österreich nach Kanada, Australien, Russland, Madagaskar, England, Israel, in die Schweiz und in die USA führend wird, haben vor kurzem begonnen. Die Fertigstellung des Films ist für 2026 vorgesehen. Im Interview gibt der Wiener Filmemacher bereits vorab Einblick in die leitenden Fragen hinter seinem neuen Film.

 

– Die „großen Fußabdrücke“ der Menschheit auf dem Planeten sowie die Schattenseiten von Wirtschaft und Technologie, das sind offensichtlich Themen, die Sie als Dokumentarfilmemacher bewegen. Wie kamen Sie zu diesem Interessensgebiet?

1999 las ich in einer Tageszeitung einen winzigen Artikel, der darauf hinwies, dass sich in der Nähe von Devon (England) Fische nicht mehr fortpflanzen können, weil eine Substanz, die für die Herstellung von Kunststoff maßgeblich war, über das Abwasser eines kunststoffverarbeitenden Unternehmens in den Fluss gelangte. Zuerst wollte ich das nicht glauben. In den darauffolgenden Monaten fand ich jedoch immer mehr Hinweise, dass Plastik eine Bedrohung für die Umwelt und unsere Gesundheit ist. Weil das Material knallbunt und überall zu finden ist, erschien mir ein Film darüber attraktiv. So entstand `Plastic Planet´ (2009).

 

– Ihr Film PLASTIC PLANET war nicht nur von großer nationaler und internationaler Aufmerksamkeit begleitet, sondern hat damals auch wesentlich dazu beigetragen, die öffentliche Debatte über Plastikmüll und Mikroplastik anzustoßen. Wie wichtig ist der gesellschaftspolitische Impact von Film bzw. von Kunst und Kultur im Allgemeinen aus Ihrer Sicht?

Filme können ganz entscheidend dazu beitragen, dass sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ein spezielles Thema richtet. Dennoch hat – meines Wissens nach – noch kein Film im Alleingang einen gesellschaftlichen Wandel hervorgebracht.

Zuallererst bedarf es einiger Pioniere, die zu dem gewissen Thema Wissen über die Problematisierung erzeugen. Erst im zweiten Schritt – wenn es gilt, die Zivilgesellschaft und die Politik zu mobilisieren – spielen die Medien eine Rolle. Der gesellschaftliche Impact von Kunst und Kultur im Allgemeinen ist zweifelsohne elementar, weil vor allem herausragende Werke bei einer breiten Öffentlichkeit Offenheit für das jeweilige Thema erwecken. Ob es dann aber zu neuen Regulierungen und – in weiterer Folge – zu einer Konsolidierung kommt, hängt von unzähligen Beteiligten ab. Da mischen Politik, Gerichte und Wirtschaft mit – sowie unterschiedlichste Interessen. Im Endeffekt hängt es vom Druck der Zivilgesellschaft ab, mit dem sie dieses Thema verfolgt, und der Bereitschaft der Menschen, einen gesellschaftlichen Wandel tatsächlich auch zu tragen.

 

– Ihre Filme beleuchten meist ein bestimmtes Thema aus einer globalen Perspektive. Trotzdem sind sie in der Rezeption sehr „nahbar“ und zugänglich. Wie schaffen Sie das?

In meinen Filmen suche ich nach Antworten auf Fragen, die mich selbst sehr beschäftigen. Ich starte also nicht mit einer vorgefassten Meinung, die ich beweisen will, sondern ich bin – während der gesamten Drehperiode – ein Suchender. In dieser Zeit ist es mir ein großes Anliegen, alle Informationen und Erkenntnisse, die den Inhalt des Films in irgendeiner Weise beeinflussen oder lenken können, wertfrei aufzunehmen. Die Offenheit bewahre ich mir hartnäckig bis zum Schluss. Umso öfter ich dabei ins Fettnäpfchen trete, desto klarer kann ich die Conclusio des Films in meinem Kopf formen. Hinterher wirkt das wie ein Spiel mit dem eigenen Scheitern. Ich denke, das ist der Grund, warum ich nahbar und zugänglich rüberkomme. Eine bessere Erklärung habe ich nicht dafür.

 

– Eines der wiederkehrenden Elemente in ihren Filmen ist die Tatsache, dass sie als Filmemacher darin selbst aktiv und im Bild durch die Handlung mit seinen verschiedenen Schauplätzen und Personen führen. Worin liegen für Sie die Vorzüge dieses Gestaltungsmittels? 

Wenn ein Dokumentarfilm davon erzählt, dass eine Person nach der Beantwortung einer Frage (oder mehrere) sucht, ist es naheliegend, dass der Film diese Person auch im Bild zeigt und dabei beobachtet, wie er oder sie die Antwort findet oder nicht. Für mich stehen das Unmittelbare des Erlebten und das Echte des Augenblicks dabei im Mittelpunkt. Dadurch ergibt sich die große Herausforderung, originale Schauplätze im richtigen Moment zu besuchen, den entscheidenden Interviewpartner:innen die im Moment entlarvenden Fragen zu stellen und dabei so zu sein, wie ich eben bin: Ein Filmemacher, den eine – für ihn äußerst – komplizierte Frage beschäftigt. Das bereitet mir immens viel Freude.

 

– Nach der langfristigen Verschmutzung unseres Planeten durch Plastikmüll, dem Mythos der `Überbevölkerung´, der permanenten Kontrolle durch moderne Überwachungstechnologien und dem ‚Greenwashing‘ großer Konzerne geht ihr neuer Film MÜSSEN WIR ALLE STERBEN dem bevorstehenden oder bereits laufenden Massensterben auf unserem Planeten nach. Was waren die bisherigen großen Artensterben auf der Erde und was hatten sie gemeinsam? 

Vor rund 541 Millionen Jahren entstand Leben auf unserem Planeten und es entwickelte sich eine diverse und komplexe Tierwelt. Die biologische Vielfalt wuchs. Doch fünf Mal ging es damit steil bergab. Es gab fünf große Artensterben. Beim letzten Massenaussterben eliminierte es die Dinosaurier. Man spricht von Massensterben, wenn es innerhalb eines geologisch kurzen Zeitraums zum Verlust von mindestens 75% der Arten kommt. Allerdings gibt es keine allgemein gültige Einigung darüber, wie dieser Beobachtungszeitraum einzugrenzen ist. Daher ist wissenschaftlich nicht eindeutig bestätigt, ob das sechste Massensterben bereits begonnen hat. (lacht) Daraus ergibt sich eine Frage, der man nachgehen sollte, oder?

 

– Ihre Filme zeigen nicht nur Probleme auf, sondern suchen immer auch nach Lösungen. Welche Lösungen könnte es gegen das Aussterben unserer Zivilisation geben?

Die Lotus Filmproduktion und ich arbeiten auf Hochtouren, damit der Film zeitnah fertig ist und Sie sich ihn anschauen können.

 

– MÜSSEN WIR ALLE STERBEN soll unter anderem in Russland, auf Madagaskar und in den USA gedreht werden. Welche Herausforderungen bringen international so weit verzweigte Dreharbeiten mit sich?

Für das Team und mich sind international weit verzweigte Dreharbeiten nichts Neues. In wenigen Tagen reisen wir zu unserem zweiwöchigen Dreh in Indien. Jeder einzelne Drehtag birgt neue Herausforderungen. Die wohl größte bei diesem Film ist jedoch die Komplexität des Themas. Schließlich behandelt der Film die elementaren Sorgen, die die Menschen in der heutigen Zeit plagen. Das sind unter anderem: Die Angst, dass etwas Grauenhaftes passiert, die Befürchtung, dass Idiot:innen und Terrorist:innen etwas Schreckliches anrichten und die Sorge um das eigene Leben.

 

– Die Dreharbeiten für MÜSSEN WIR ALLE STERBEN haben erst vor kurzem begonnen. Wie läuft es bisher und welche Produktionsschritte stehen 2025 auf dem Plan?

Wenn über die Herstellung von Filmen gesprochen wird, wird mir viel zu oft nur von den Dreharbeiten geredet. Dabei ist ein zentraler Kern der Produktionen meiner Dokumentarfilme immer das Rechercheteam. Ohne diese Spezialist:innen aus unterschiedlichen Wissensgebieten und Branchen und viele zusätzliche externe Berater:innen wären meine Filme nicht möglich. Das Rechercheteam für MÜSSEN WIR ALLE STERBEN nahm in der Affenhitze des Wiener Hochsommers die Arbeit auf und trifft sich seither zwei Mal in der Woche mit mir zum Jour Fixe (siehe Foto). Im September drehten wir die verheerenden Hochwasser im Wiener Raum, weil der Film auch der viel zitierten Klimakrise auf den Zahn fühlt. Im Herbst hatten wir einen weiteren Dreh, über den ich noch nichts verrate. Während das Produktionsteam im Moment die letzten Details für die anstehenden Dreharbeiten in Indien regelt, ist das Rechercheteam schon mit den darauffolgenden Drehblöcken in China, Russland, Australien, Thailand, Madagaskar und Amerika beschäftigt. Ach ja!, und dazwischen haben wir noch ein paar wichtige Tagesausflüge innerhalb Europas. Nach jedem Drehblock wird das Material gesichtet, sortiert und geschnitten. Parallel dazu wird die Filmmusik komponiert. Das Jahr 2025 ist – dank des Filminstituts – ein aufregendes Jahr.

Müssen wir alle sterben

Dokumentarfilm
Regie: Werner Boote
Kinostart: 18.09.2009

Plastic Planet

Dokumentarfilm
Regie: Werner Boote
Kinostart: 25.12.2015

Alles unter Kontrolle

Dokumentarfilm
Regie: Werner Boote
Kinostart: 09.03.2018

The Green Lie

Dokumentarfilm
Regie: Werner Boote