© Manfred Breuersbrock

 

Etwas Verlockendes, weil Unbekanntes.

 

Als Ingeborg Bachmann und Max Frisch einander im Sommer 1958 erstmals begegnen, ist er bereits ein gefragter Dramatiker, sie eine anerkannte Lyrikerin. Vier Jahre versuchen die beiden literarischen Temperamente einen gemeinsamen Weg, der in Paris beginnt und über Zürich nach Rom führt. Die plötzliche Trennung erschüttert Bachmann zutiefst. Margarethe von Trotta rekonstruiert in BACHMANN UND FRISCH die Höhen und Tiefen dieser Verbindung aus der Perspektive einer Reise in die Wüste, die Bachmann nach der Trennung unternimmt, um etwas wie Heilung zu erfahren.

 

Ihr Film BACHMANN UND FRISCH erzählt von einer kurzen Liebe und einer langen Verbindung zwischen den beiden großen literarischen Stimmen – Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Hat eine*r von beiden als Schriftsteller*in Sie besonders begleitet, sodass es zu dieser filmischen Auseinandersetzung gekommen ist?

MARGARETHE VON TROTTA: Eigentlich waren es meine Produzent*innen Bady Minck und Alexander Dumreicher-Ivanceanu, die an mich herangetreten sind, einen Film über Ingeborg Bachmann zu machen. Die ursprüngliche Idee ist also nicht von mir gekommen. Ich bin ja ein Angsthase. Meine erste Reaktion ist immer von sehr viel Respekt vor so großen Gestalten geprägt. Ingeborg Bachmann wie auch Max Frisch sind so bedeutende Schriftsteller*innen gewesen, auch für mich persönlich. Es war auch bei Rosa Luxemburg so und Hannah Arendt so, dass ich zunächst zurückgeschreckt bin. Ich muss langsam herangehen und erkunden, ob mich da etwas packt, das mich dahin bringt, dass es – wenn ich Glück habe – ein guter Film wird. Ingeborg Bachmann ist mir gewiss näher als Max Frisch. Es war aber nicht so, dass ich von Anfang an den Fokus auf Frisch gesetzt hatte. Im Zugang zum Thema Ingeborg Bachmann war ich völlig frei.  Es hätte auch ein ganz anderer Blickwinkel sein können. Ich habe mich für Max Frisch entschieden, weil es zu ihrer Beziehung zu Paul Celan schon einen Film gibt. Und es gab schon einen Gedanken, der mich sehr angezogen hat: Bei Bachmann und Frisch handelt es sich um zwei Schriftsteller*innen, die im Moment, wo sie sich kennenlernen, schon beachtliches Renommee erlangt und voreinander großen Respekt haben. Vielleicht hat da etwas mit meinem eigenen Leben zu tun und dem Umstand, dass ich lange mit einem Regisseur verheiratet war. Ich habe meine Karriere als Schauspielerin begonnen und bin dann Regisseurin geworden. Doch als ich begann, auch als Regisseurin Erfolg zu haben, hat sich da ein gewisses Konkurrenzverhalten eingeschlichen. Uns hat es schließlich auseinandergetrieben. Diesen Spiegel an einem anderen Paar zu sehen, war gewiss auch ein Motiv für mich, mir die Beziehung Bachmann/Frisch näher anzuschauen. Ingeborg Bachmann hat nach dem sehr zerbrechlichen und auch neurotischen Celan, einen gestandenen Mann gewählt, der auch deutlich älter war als sie. In Frisch hat sie einen Mann gesehen, der ihr einerseits den Schutz geboten hat, den sie brauchte, andererseits die Möglichkeit, ihre Unabhängigkeit als Schriftstellerin und ihre Freiheit als Frau zu wahren. Es war allerdings ein Fehlschluss ihrerseits zu glauben, dass Max Frisch dazu fähig gewesen wäre.

 

Bachmann und Frisch sind beide, wenn sie sich im Sommer 1958 kennenlernen in einer fragilen Liebessituation. Frisch war nicht offiziell von seiner Frau getrennt …

MARGARETHE VON TROTTA: … und Bachmann weilte gerade in Paris, als sie sich zum ersten Mal treffen, und hat sich gerade endgültig von Paul Celan getrennt. Das stimmt, dass sie in Liebesdingen gerade einen fragilen Moment erleben und daher auch beide die Hoffnung auf eine stabilere Verbindung in sich tragen. Max Frisch war sehr bürgerlich verheiratet und plötzlich hat er eine ganz andere Frau vor sich und mit ihr auch etwas wie ein Abenteuer. Etwas Verlockendes, weil Unbekanntes.

 

Sie erzählen diese Liebe vom Anfang bis zur Trennung aus der Perspektive einer Ägyptenreise, die Bachmann einige Zeit nach der Trennung mit einem jüngeren Mann unternimmt (übrigens auch ein Dichter) in mehreren Rückblenden. Repräsentieren diese Schlaglichter auf die Beziehung Frisch/Bachmann die Kürze und Intensität der Liebesbeziehung? Verweist die Erzählperspektive aus der Erinnerung auch darauf, wie stark diese Verbindung lange nach der Trennung nachgewirkt hat.

MARGARETHE VON TROTTA: Ingeborg Bachmann ist in der Tat nie so richtig von Frisch losgekommen. Es war ein unheimlicher Schmerz und eine Demütigung, dass sie von ihm verlassen worden war. Das hat einen Riss in ihrem Leben verursacht, den sie nie mehr ganz überwunden hat. Mit dem Fokus auf die Reise in die Wüste versuche ich, ein Gefühl zu vermitteln, dass es für einen Moment so aussieht, als könnte sie es doch überwinden. Jeder kennt Ingeborg Bachmanns tragisches Ende. Das wollte ich nicht erzählen, sondern vielmehr, dass es davor diesen Moment der Hoffnung gab. Bei meinen Filmen über Rosa Luxemburg und Hannah Arendt habe ich mich sehr stark auf die Briefwechsel gestützt, um herauszufinden, was sie für Menschen waren, wie sie geredet, wie sie empfunden haben. Im Fall von Ingeborg Bachmann habe ich vom Suhrkamp-Verlag nicht die Erlaubnis bekommen, die Briefe einzusehen, obwohl ich von mehreren Seiten und sogar von Bachmanns Bruder die Unterstützung dafür gehabt hätte. Sie werden nächstes Jahr publiziert werden. Dadurch, dass ich die Korrespondenz nicht nachverfolgen konnte, konnte ich auch nicht die Kontinuität ihrer Verbindung aus den Briefen herauslesen. Ich musste mich daher auf das beschränken, was ich wusste. Letzten Endes hat mir das vielleicht sogar geholfen; ein lineares Erzählen vom Anfang bis zum Schluss wäre vielleicht weniger spannend gewesen, als die Beziehung von der Wüste aus in Rückblicken zu betrachten.

 

Wie sehr haben diese beiden starken Persönlichkeiten überhaupt auch Freiraum für einen fiktionalen Umgang mit ihrer Geschichte zugelassen?

MARGARETHE VON TROTTA: Es gibt mehrere Frisch- und Bachmann-Biografien und es gibt auch Bücher über die beiden. Da bisher niemand ihre Briefe hat lesen können, ist es immer eine Art von Drüber-Hinweg-Reden. Als Drehbuchautorin brauche ich ja Fleisch, ich muss mir ja vorstellen können, wie die beiden miteinander geredet haben. Da muss man erfinden und zwar im Sinne der beiden Charaktere erfinden. Da ich eine sehr eifersüchtige Person war und vielleicht auch immer noch bin, konnte ich mich sehr gut in Max Frisch hineinfühlen, der von anderen ja immer als Monster der Eifersucht bezeichnet wurde.

 

Von der Liebesgeschichte gibt es gewiss zwei Sichtweisen. Wie sehr folgte das Drehbuch auch dem Anspruch, beiden Seiten gerecht zu werden?

MARGARETHE VON TROTTA: In der österreichischen Wahrnehmung ist Ingeborg Bachmann präsenter, in der Schweiz ist es umgekehrt. Hier in Deutschland sind und waren die Romane und Stücke Max Frischs sehr populär, gerade in der Zeit, als Biedermann und die Brandstifter oder Andorra herauskamen. Ingeborg Bachmanns Gedichte sind wunderschön, aber schwierig; Poesie wird schon im Allgemeinen weniger gelesen, aber auch ihre Prosa ist wesentlich schwieriger zu lesen und zu verstehen als die Romane von Frisch. Aber Ingeborg Bachmann ist in der Weltliteratur die vielleicht bekanntere Person, durch ihre tragische Lebensgeschichte und ihren frühen Tod. Max Frisch ist sehr alt geworden. Er hat nach Ingeborg Bachmann noch mit mehreren Frauen zusammengelebt. Man kann sagen, er hat ein „normales“ männliches Leben gelebt, während sie durch ihre unglaubliche Sensibilität und Verletzbarkeit sehr anrührend ist, was man von Frisch nicht behaupten kann.

 

Was man über Bachmann auch immer wieder lesen kann, ist der Umstand, wie stark Leben und Werk miteinander verflochten sind. Gab es über die biografischen Quellen hinaus auch direkte literarische Quellen, die ins Drehbuch eingeflossen sind?

MARGARETHE VON TROTTA: Wenn man Bachmanns Texte liest und etwas über Leben weiß, merkt man wie verletzbar, sensibel und hochintelligent sie war. Der Drehbuch-Vorgang läuft nicht immer ganz bewusst ab. Gottseidank. Würde man alles bewusst machen, würde man sich mit sich selber langweilen. Es geht bei so einem Drehbuch darum, viel zu lesen, viel aufzunehmen, aber auch viel zu spüren. Ich bin jemand, die Personen, die ich beschreiben muss, immer sehr nachspürt, und das nicht nur auf der bewussten Ebene. Insofern kann ich nicht sagen, was konkret und was intuitiv ist. Meine Bachmann-Lektüre habe ich mit Lyrik begonnen. Ihre Gedichte waren gewiss das erste, was mich zu ihr hingezogen hat. In der Prosa vielleicht Das dreißigste Jahr, Malina habe ich erst viel später gelesen.

 

Zu den Männern, die Ingeborg Bachmann gewählt hat, gab es nicht nur eine seelische oder erotische Anziehung, sondern immer auch eine künstlerische. Wie sehr haben diese künstlerische Affinität und Intensität einen Beziehungsalltag unmöglich gemacht?

MARGARETHE VON TROTTA: Als sie noch in der Gruppe 47 gelesen hat, war sie noch sehr jung und hat sich als sehr verletzbar und schüchtern dargestellt, auch wenn sie das im Grunde gar nicht war. Sie hat gemerkt, dass es bei ihren Kollegen gut ankam. Sie hat Maria Callas und Marlene Dietrich sehr verehrt und hatte selbst etwas von einem Star. Sie wusste, was ihr Aufmerksamkeit und Erfolg brachte. Es gibt die eine bekannte Erzählung, dass sie immer etwas fallen ließ und die Männer angestürzt kamen, um es aufzuheben. Sie hat sehr früh die Wirkung dieser Geste bemerkt und hat das dann fortgeführt. Ingeborg Bachmann war ein Mensch, der so viele Eigenschaften und Schattierungen in sich vereinte, dass man kaum sagen kann, das war sie. Sie ist eine facettenreiche Frau; je nachdem, wem sie gegenübersteht oder mit wem sie lebt, ist sie eine andere. Kein Mann, glaube ich, außer vielleicht Hans-Werner Henze, mit dem durch seine Homosexualität die Beziehung gleich eine andere war und mit dem sie eine tiefe Freundschaft verband, hat sie wirklich gekannt. Es wird auch erzählt, dass sich nach ihrem Tod ganz viele Menschen in Rom trafen und untereinander nicht kannten und jeder von ihnen meinte, der einzige Freund zu sein. Sie hat die einzelnen Menschen, die ihr nahe waren, voneinander ferngehalten. Sie hat immer versucht, eine Art Geheimnis um sich aufrechtzuerhalten.

 

Was weiß man über Adolf Opel, den jungen Schriftsteller, mit dem sie in die Wüste reist und der eine historische, aber unbekanntere Figur ist?

MARGARETHE VON TROTTA: Es gibt ein Buch von ihm selbst, in dem er diese Reise in die Wüste mit Ingeborg Bachmann beschreibt und es gibt auch eine Korrespondenz, die ich in Wien einlesen konnte. Es war eine intensive Freundschafts- und Liebesbeziehung, die auf alle Fälle vier Jahre gedauert hat. Man kann schwer sagen, ob es ihre letzte Liebesbeziehung war. Es hat immer wieder Begegnungen gegeben und sie war auch eine sexuell sehr anziehende Frau. Je kränker und älter sie allerdings wurde, desto mehr ließ diese Strahlkraft nach. Nachdem Max Frisch sie verlassen hatte, ist sie schwer erkrankt und begann Schmerztabletten und Drogen zu nehmen, getrunken und viel geraucht hat sie sowieso. So fing es an, dass sie sich systematisch fertig gemacht hat, auch wenn sie dazwischen immer wieder versucht hat, mit Therapien davon wegzukommen. Aber eigentlich hat damit, um es kitschig zu sagen, der Weg ins Verderben begonnen.

 

Ein interessanter Aspekt Ihres Films ist der geografische. Es gibt mehrere Städte, die für die beiden von großer Bedeutung waren. An welchen Orten werden Sie drehen? Welche Bedeutung hatten die Städte und andererseits die Wüste?

MARGARETHE VON TROTTA: Die Wüste bringt eine Beruhigung, allein durch die Bilder der Stille und Weite. Man denkt bei Wüste gerne an Abenteuer, aber Wüste ist zunächst Mal Stille und Reinigung. Alle anderen Orte sind besetzt. Zürich ist Max Frischs Stadt, da hat sich Ingeborg Bachmann gar nicht wohlgefühlt, deshalb wollte sie zurück nach Rom. Ihre eigentliche Heimat war nicht Klagenfurt, sondern Italien; dort fühlte sie sich geistig zu Hause und als Mensch am wohlsten. Max Frisch wiederum war in Italien weniger beheimatet, vor allem, weil er die Sprache nicht konnte. Am Anfang war sie ihm dort überlegen und es war gewiss nicht angenehm, nur so ein Appendix von ihr zu sein. Umgekehrt ist Bachmann dann wieder nach Zürich, während Frisch in Rom war. Das hatte damit zu tun, dass er der „Reichere“ der beiden war. Sie hat mit ihren Gedichten und Erzählungen viel weniger verdient als Frisch mit seinen Theaterstücken, die überall aufgeführt wurden. Die große Wohnung in Rom hat er finanziert. Er ist aber dann ausgezogen, um mit Marianne Oehlers in einer kleineren Wohnung zusammenzuleben, Bachmann konnte die große Wohnung nicht finanzieren. Das muss sie auch noch sehr verletzt haben, dass er mit seiner neuen Frau in Rom geblieben ist. Er hat somit die Stadt usurpiert, die eigentlich ihr „gehört“ hatte. Erst als er wieder in die Schweiz zieht, kehrt Ingeborg Bachmann nach Rom zurück.

Die Reise in die Wüste ist eine Reise, wo eine Art Heilung stattfindet. Gleichzeitig ist dieser Film auch eine Reise in die Gefühlswüste der beiden. Ich sehe zwei Gegenbewegungen im Drehbuch. Es fängt mit den beiden sehr schön und vielversprechend an, als könnte das eine gute Verbindung werden und dann wird sie immer schwieriger, bis zum Schluss, wo er sie verlässt. Bei ihrer Reise mit Adolf Opel in die Wüste ist Bachmann anfangs sehr deprimiert und schwach. Ihr Zustand wird immer besser, sie sieht darin eine Heilung. Ich sehe eine Bewegung von der Höhe in die Tiefe und eine Gegenbewegung in der Wüste, die wieder hinaufführt. In der Mitte treffen sich die beiden Linien. Eigentlich sind es zwei Reisen in die Wüste.

 

Wie lassen sich gerade die Vorbereitungen unter den erschwerten Bedingungen voranbringen?

MARGARETHE VON TROTTA: Ich denke, wir sind darauf angewiesen, alles ein bisschen zu verschieben. Geplant ist der Drehstart für den kommenden Herbst. Die Besetzung ist durch die Pandemie natürlich erschwert, weil ich nicht digital besetzen will, sondern die Leute auch persönlich treffen möchte. Bei den beiden Hauptrollen ist das mit Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld wunderbar gelungen, bei anderen Rollen ist das Casting in Gange. Da bin ich ein bisschen in der Warteschleife im Moment. Es wird meine erste Zusammenarbeit mit Martin Gschlacht als Kameramann sein, mit dem ich mich schon eingehend über das Drehbuch unterhalten habe. Auf diese Zusammenarbeit freue ich mich sehr.

 

 

Interview: Karin Schiefer

Februar 2021